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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Knabenstimme gesungen hatte, glaubten alle seine Zuhörer, daß » Milch und Honig flossen im Lande Kanaan«. Aufgewachsen in der Tradition des jüdischen Kantorengesanges, lernte er im Synagogenchor die »Chasanut«, die jüdischen Gebetsgesänge. Hersch Feinstein kümmerte sich um seinen Lieblingsschüler wie um einen eigenen Sohn, verpflegte, kleidete und unterrichtete ihn, bis Steinberg seinem Lehrer an stimmlicher Geschmeidigkeit und Atemtechnik fast ebenbürtig war. Doch Steinbergs Eltern sträubten sich, den Sohn zu einem Gesangsstudium nach Wien zu schicken. Er sollte Kommis in der Schokoladenfabrik seines Onkels werden, durfte aber an seinen freien Abenden im Opernchor des Stadttheaters singen und als Aushilfskantor reisen, wenn in einer der vielen jüdischen Kultusgemeinden des ehemaligen österreichisch-ungarischen Kronlandes Mähren Not am Mann war; denn die Kunde seiner Gesangskunst hatte sich im ganzen Land verbreitet.
    Franziska hatte sich unaufgefordert neben ihn gesetzt. »Der Stationsvorsteher sagte uns nämlich, daß Sie den letzten Zug nach Preßburg verpaßt hätten.« Karl ließ sich auf seiner anderen Seite nieder und deutete auf Franziska. » Sie könnte Ihren Zug vielleicht noch mit dem Auto einholen…«
    Steinbergs Kopf ging zwischen beiden hin und her.
    » …oder, was noch besser wäre, Sie übernachten in meinem Zimmer drüben im Grandhotel…«
    » …dann hätten wir genügend Zeit, über alles zu reden.«
    » Wir wollen Ihnen nämlich einen Vorschlag machen!«
    » Was halten Sie davon?«
    Franziska rutschte auf der Holzbank hin und her und schlug die Knie aneinander, wie ein Kind, das dringend auf die Toilette muß. » Ja, sagen Sie, was halten Sie davon?«
    Steinberg antwortete nicht gleich. Abwägend wendete er den Kopf von einer auf die andere Seite. Dann blickte er Franziska an und lächelte.
    » Gnädiges Fräulein, was halten Sie davon, wenn Sie mir erst einmal mitteilen würden, mit wem ich eigentlich das Vergnügen habe?«
    Karl wollte aufspringen, doch Franziska war ihm zuvorgekommen. » Laß mich das mal machen, Karel. Schließlich ist das meine Idee gewesen!«
    Doch da war Karl schon damit herausgeplatzt. » Sie werden den Tamino für mich singen!«
    Ein halbes Dutzend Kinder schlüpften unter eine schlauchartige Stoffbahn mit einem züngelnden Schlangenkopf an der Spitze und schlängelte sich durch die Kulissengassen. Drei Knaben bestiegen eine vom Theaterboden herabgelassene Mongolfière und entschwebten in den Schnürboden. Papageno versuchte ein Wellensittichpärchen, das auf einer Stuhllehne hockte, mit dem Didelididelididelidim seiner Panflöte in seinen Vogelbauer zu locken. Sarastro, Herr der Güte und des Lichts, gehüllt in einen golddurchwirkten Mantel, und seine Gegenspielerin, die Königin der Rache und der Finsternis im sternenübersäten Prachtgewand, schaukelten einträchtig nebeneinander auf einer Mondsichel und blätterten in ihren Partituren– alles war bereit für eine Durchlaufprobe, während Karl sich noch bemühte, die Musikstudenten vom Brünner Konservatorium, die Bläser der städtischen Feuerwehr und der Schützengilde sowie die Trommler der Militärkapelle mit den Mitgliedern seines unterbesetzten Hausorchesters unter einen Hut zu bringen. Im Orchestergraben war es zu Streitereien gekommen, weil einige der altgedienten Stützen des Hauses sich weigerten, neben weiblichen Musikern zu spielen, andere darauf bestanden, daß die Feuerwehr- und Militärkapelle nicht in ihren Uniformen auftreten durfte. Alle mußten sie zusammenrücken, denn in dem schmalen Proszenium war kaum Platz für ein Vierzigmannorchester.
    Auf Franziskas Anweisung schoben Bühnenarbeiter die ausgedienten und verblichenen Malerdekorationen zur Seite und zogen safrangelbe, rote und violette Bahnen aus glänzender Seide in den Schnürboden hinauf, bis sie sich zu Papyrussäulen bauschten, Pforten zu den inneren Räumen einer großen Pyramide, die mit Hieroglyphen, fünfzackigen Sternen, Winkelmaß und Kelle sowie mit einer Sanduhr geschmückt war– Sarastros »h eilige Hallen«.
    » Haben Sie die Rechnungen für den Palast beglichen? Hier…« Franziska riß einen Scheck aus dem Formularheft und reichte ihn an den Bühnenmeister weiter. » …das muß für die Spezialeffekte reichen, für Wasserfall und Feuersäule.«
    Karl hatte ihr, was Ausstattung und Kostüme anbelangte, freie Hand gelassen. Ihr künstlerischer Geschmack war anspruchsvoll wie sein eigener und ihre

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