Augenblick der Ewigkeit - Roman
Vorschläge von ähnlicher Kompromißlosigkeit, so daß er manchmal glaubte, sie könne seine Gedanken lesen. Auf ihren Wink entschwand Sarastros Tempelhalle im Bühnenboden, die Szenerie verwandelte sich in eine gefrorene Welt aus Schnee und Eis, über der die Sichel eines Halbmonds schwamm.
Der Bühnenvorhang ging herunter. Der Zuschauerraum tauchte ins Dunkel. Alles war bereit für eine Probe, nur in der siebten Reihe leuchteten am leeren Pult des Regisseurs noch ein Dutzend kleiner Lämpchen. Als endlich im Orchestergraben jeder seinen Platz gefunden hatte und Ruhe eingekehrt war, erklangen jene ersten drei Adagio-Akkordschläge in Es-Dur, mit denen die Weltfeierlichkeiten der Zauberflöte eröffnet wurden. Die Wiederholung der Akkorde in den Bläsern leitete über zu jener Fuge, in der der Kampf der Menschheit und ihr Sieg über die Mächte der Dunkelheit in symphonischer Polyphonie und reichem Kontrapunkt ausgefochten wurden. Der Bühnenvorhang öffnete sich zum ersten Akt– da wurde die Tür zum Zuschauerraum aufgestoßen und Maier-Schott stürmte den Mittelgang hinunter, in seinem Schlepptau der Theaterdirektor.
» Was ich Ihnen gesagt habe, Herr Direktor? Jeder macht hier, was er will. An Ihrem Theater herrscht die reine Anarchie!«
Hans Demetz war vor kurzem erst vom Deutschen Landestheater Prag als neuer Direktor der Vereinigten Deutschen Bühnen nach Brünn geholt worden und hatte seine Zustimmung zur Zauberflöte nur unter der Bedingung gegeben, daß ein erfahrener Künstler wie Maier-Schott nicht nur die Titelpartie singen, sondern auch die Inszenierung überwachen solle. An der Balustrade blieb der Kammersänger stehen und deutete in den Orchestergraben.
» Da, sehen Sie doch selbst! Das blanke Chaos, und das zwei Wochen vor der Premiere!«
Sichtlich irritiert beugte sich der Theaterdirektor über die Balustrade. » Ja, wer sind denn die vielen jungen Leute da?«
» Die Orchesterverstärkung für die › Zauberflöte‹, Herr Direktor!«
» Herr Herzog, ich habe Ihnen erlaubt die › Zauberflöte‹ zu übernehmen, nicht aber mein Theater zu ruinieren! Für die Aufstockung des Orchesters sind keine Mittel da. Hatten wir nicht kammermusikalische Intimität statt großer Oper verabredet?«
» Herr Direktor, mit Verlaub– es ist Schmierenpraxis, Mozart in Minimalbesetzung zu spielen. Das Monumentale verliert sich im Anmutigen, das ist genau das Ergebnis jener verfluchten Rokokolegende seiner Musik! Ein gut besetztes Orchester hat ganz andere Möglichkeiten der klanglichen Differenzierung.«
» Die › Zauberflöte‹ ist ein Singspiel…«
» …die › Zauberflöte‹ ist Operone, wie Salieri sagte, große Oper, würdig, bei den größten Festlichkeiten an Europas Höfen aufgeführt zu werden. Schon Mozart hatte sich immer wieder über allzu bescheidene Orchesterbesetzungen beklagt– › machen Sie Ihr Möglichstes, daß die Musik bald einen Arsch bekommt, das ist das Notwendigste. Denn einen Kopf hat sie schon!‹– und sich die fehlenden Trompeten, Posaunen und Pauken bei den Stadtpfeifern geholt.«
» Und wer soll für ihren › Arsch‹, pardon– die zusätzlichen Kosten aufkommen?«
Als hätte sie nur auf ihr Stichwort gewartet, trat Franziska aus der Kulissengasse ins Scheinwerferlicht und blieb mit gezücktem Scheckbuch an der Bühnenrampe stehen.
» Wenn Sie nichts dagegen haben, Herr Direktor, werde ich die Rechnungen bezahlen! Für das Orchester, die Kostüme…«
Der Theaterdirektor starrte Franziska an. » Und wer sind Sie?«
Bevor Franziska antworten konnte, machte sich Maier-Schott mit all seiner Körperlichkeit bemerkbar und deutete mit theatralischer J’accuse-Geste zur Bühne hinauf. » Da ist ja die Person, von der ich Ihnen erzählt habe. Sie mischt sich in alles ein!«
Karl legte den Dirigentenstab aufs Pult und klappte die Partitur zu. Der Augenblick war gekommen, den Buffo endlich loszuwerden. » Wie sagt man so schön in Ihren Kreisen, Herr Kammersänger? Wer die Musik bezahlt, der gibt den Ton an!«
Er deutete auf Franziska, die sichtlich verlegen plötzlich im Mittelpunkt stand.
» Sie ist der gute Geist dieses ganzen Unternehmens und hat in ihrem Dilettantenherzen mehr Passion als Sie in Ihrer aufgeblasenen Professionalität von dreißig Jahren sogenannter Bühnenerfahrung, Herr Kammersänger. Und soll ich Ihnen noch was sagen?«
» Nur zu, Sie aufgeblasenes Kapellmeisterlein! Reden Sie sich nur um Kopf und Kragen!«
» Ein großer Sänger lebt in den
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