Augenblick der Ewigkeit - Roman
jedoch mitten in der Vorbereitung zu den Aufzeichnungen aus einem Totenhaus an einer Lungenentzündung verstorben war, war niemand mehr da, der ihn protegierte. Schließlich hatte er genug von der Sekkiererei und wechselte zu der Vereinigten Deutschen Bühne, die, nachdem die Tschechen das ehemals Deutsche Theater repatriiert hatten, mit dem kleineren und sehr viel primitiveren Redoutentheater am Krautmarkt vorlieb nehmen mußte. Dort, so hatte Karl es sich in den Kopf gesetzt, ausgerechnet auf dieser Guckkastenbühne, wollte er mit der Zauberflöte debütieren, einer Oper, die so sehr im Reich der Phantasie angesiedelt war, daß weder auf unterirdischen Theaterdonner noch auf luftig schwebende Flugwerke, Felsengrüfte und Paläste, auf Wasserfälle und Feuersäulen verzichtet werden konnte, so wenig wie auf prächtige Dekorationen und kostbare Kostüme. Und alles nur, weil er herausgefunden hatte, daß Emanuel Schikaneder, der Librettist der Mozart-Oper, am Redoutentheater zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts Intendant gewesen war. Karl vertraute auf den › Genius loci‹ und setzte alles auf diese Karte, nur daß der Theaterdirektor der Deutschen Bühne, Hans Demetz, ihm unmißverständlich erklärte, daß für eine solche Produktion kein Geld in seiner Kasse war.
» Kümmere du dich nur um deine Kunst und überlaß das andere mir!« Franziska stand ins Badetuch gehüllt im Morgenlicht, das durch ein schmales Fenster fiel. In den Häusern gegenüber gingen die Lichter aus, und die Menschen machten sich zur Arbeit auf. Rotes Zwielicht leckte an den aufgerissenen Wolken über der Altsstadt, und in der Kastanie vor dem Fenster tobte schon seit den frühen Morgenstunden der Sängerstreit unzähliger Amseln, Finken und Stare.
» Und womit soll ich die Musiker bezahlen, wenn ich dich fragen darf?«
» Das, mein lieber Karel, das ist meine Sache!«
Karl blickte verblüfft von seiner Arbeit auf. Hatte er sie richtig verstanden? Enthielt ihre Ankündigung, » seine Sache« zu der ihren zu machen, etwa das Angebot, die Zauberflöte im Redoutentheater zu finanzieren? Sein Herz fing an zu klopfen. Aber er traute sich nicht, sie direkt zu fragen.
Ein paar Tage nach ihrer Ankunft hatte Franziska dem Direktor einer befreundeten Bankfiliale einen Besuch abgestattet, ohne Karl davon etwas zu sagen. Der freundliche Herr, ein weitläufiger Bekannter ihres Vaters, mit rosigem Gesicht und merkwürdig nackten, kurz bewimperten Augen, hatte sie in seinem Kontor empfangen. Sie überreicht ihm ihren Kreditbrief, der von der Bank ihres Vaters auf eine standesgemäße Summe für sie ausgestellt war, und eröffnete ein Konto. Der Direktor händigte ihr daraufhin ein Scheckheft aus, ihr Vater habe ihn genauestens über alles informiert und ihn gebeten, sich ein wenig um sie zu kümmern. Ob sie in Brünn denn schon Anschluß gefunden habe? Als Franziska kokett den Kopf schüttelte, versicherte er ihr, sie könne jederzeit über ihn und das Seine verfügen, und wenn es gegen Monatsende einmal eng werde– ihr Kredit bei ihm sei grenzenlos! Genau auf den hatte sie es abgesehen.
» Weiß dein Vater eigentlich davon?«
Sie schüttelte den Kopf. » Und das soll bis nach unserer Premiere auch so bleiben!«
Sie hatte ihre Eltern davon abhalten können, sie in Brünn zu besuchen, um den berühmten Architekten Mies van der Rohe, der in Begleitung seiner Innenarchitektin reiste, persönlich kennenzulernen. Den Wiener Feuilletons war es eine Notiz wert gewesen, daß das Künstlerpaar in Brünn seine Fahrt zur Weltausstellung in Barcelona unterbrechen wolle, um die fertiggestellte Villa Tugendhat abzunehmen, die im Schwarzfeldviertel an einem Hang über der Brünner Altstadt wie ein fremdartiges Raumschiff lag. Franziska durfte Protokoll führen, als das Architektenpaar mit dem Bauherrn durch das leere Gebäude schritt, eine Stahlskelettkonstruktion mit riesigen versenkbaren Panoramascheiben, die soviel wie drei Dutzend Einfamilienhäuser gekostet hatte. Es galt, das Haus mit Sitzgruppen, Teppichen und Lampen auszustatten, die nach eigenen Entwürfen gefertigt wurden. Die Qualität und die Ausführung der Innendekorationen zu überwachen war Franziskas Aufgabe, und in dieser Funktion war es ihr gelungen, mit den Schreinerwerkstätten, Stofflieferanten, Dekorationsgeschäften und Malerbetrieben in Brünn und der Umgebung in Kontakt zu kommen, die ihr recht günstige Konditionen in » ihrer Sache« zugesagt hatten.
» Jetzt bist du aber völlig
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