Augenzeugen
Gefangenschaft in der engen Kiste hielt sie es in der Wanne nicht mehr aus. Inzwischen schaffte sie es manchmal an guten Tagen schon wieder, van Appeldorn Gesellschaft zu leisten, wenn er ein Entspannungsbad nahm, etwas, das er erst durch sie genießen gelernt hatte.
Sie brachte ihm einen Weinbrand, Salbe und eine elastische Binde für seinen Knöchel und hockte sich neben die Wanne. Ihr Gesicht lugte gerade eben so über den Rand. «Na, kommst du langsam zur Ruhe?»
Van Appeldorn trank einen großen Schluck und schloss die Augen. «Nicht so richtig. Mir geht zu viel durch den Kopf.»
«Ich bin dir gern ein bisschen behilflich», lächelte sie und zeichnete mit dem Zeigefinger kleine Kreise auf seine Brust, weiter den Bauch hinunter …
Er grinste. «Ich komme darauf zurück.»
Sie piekste ihm in den Bauchnabel. «Was bedrückt dich?»
«Ich weiß nicht genau. Helmut hat ja immer mal so seine düsteren Phasen, aber …» Und dann erzählte er, was in den letzten Tagen so gewesen war.
«Teilt mich einfach ein, das hat er wirklich gesagt? Helmut? Das ist nicht normal. Der ist doch eher zweihundertprozentig.»
«Na ja, nachher war er ja auch wieder bei der Sache, zumindest eine Zeit lang.»
«Trotzdem, Norbert. Das passt nicht zu Helmut.» Sie richtete sich auf. «Da ist was nicht in Ordnung. Du musst was unternehmen.»
«Ich?» Van Appeldorn machte große Augen. «Was soll ich denn unternehmen?»
«Red mit den anderen, sprich mit Astrid!»
«Nein, das lass ich lieber. Die beiden scheinen irgendwie Knies zu haben, und da misch ich mich nicht ein.»
«Astrid und Helmut? Das passt auch nicht. Dann red eben mit Arend Bonhoeffer, der kennt Helmut doch seit Ewigkeiten. Irgendwas ist da faul. Da steckt nicht nur eine düstere Stimmung dahinter, glaub mir.»
Van Appeldorn fröstelte. «Ich kann so was nicht.»
Sie griff in seinen dicken Haarschopf und gab ihm einen Kuss. «Dann wird’s aber Zeit, dass du’s lernst.»
An Dienstagabenden arbeitete Peter Cox normalerweise den Spiegel durch, aber heute fand er nicht die rechte Ruhe. Auf seinem Schreibtisch lag ein dicker Packen Akten über Eugen Geldek, in die er bisher nicht einmal einen Blick geworfen hatte.
Er zog sich ein frisches Oberhemd an und machte sich wieder auf den Weg ins Büro.
Es konnte sicher auch nichts schaden, wenn er später auf ein Bier in die Kneipe in Reichswalde ging und sich ein bisschen umhörte.
Astrid drehte die Flamme ab und ließ die gebräunten Filetstücke in die Soße gleiten – fertig, jetzt nur noch die Vorspeise. Eigentlich kochte sie gern. Sie entspannte sich dabei und konnte alles, was tagsüber passiert war, vergessen. In letzter Zeit fand sie nur selten die nötige Muße. Auch heute hatte es nur mit einem Trick geklappt. Helmut war, wie fast jeden Tag, gleich nach dem Dienst unter die Dusche gestiegen und dann in seinem Zimmer verschwunden. Aber sie hatte Katharinas Lieblingsbücher zusammengesucht, ihre Tochter davon überzeugen können, dass «der Papa» darauf brennen würde, ihr die alle vorzulesen, und sie hochgeschickt.
Sie nahm den Trüffelhobel aus der Schublade und fing an, die Champignons für die Pilzcarpaccio zu hobeln. Helmut hatte nie erfahren, wie teuer dieses Gerät damals gewesen war. Nachdem sie den Hof gekauft hatten, waren sie eine ganze Weile schrecklich knapp bei Kasse gewesen, aber ihr Vater hatte ihnen zum Einzug ein Kilo schwarzer Trüffel geschenkt, und die wollten verarbeitet werden. Tagelang hatten sie alle möglichen Kochbücher gewälzt und die verschiedensten Köstlichkeiten gezaubert. In der Wohngemeinschaft hatte Helmut mit Begeisterung gekocht. Sein italienisches Buffet für ihre Einweihungsparty war ein solches Meisterwerk gewesen, dass sie und Gabi nur noch gestaunt hatten.
Gabi – sie vermisste sie sehr und hätte gerade heute gern mir ihr gesprochen, aber ihre beste Freundin gondelte im Moment mit ihrem lebenslustigen neuen Liebsten irgendwo in Ungarn herum.
Astrid verteilte die Pilzscheibchen auf zwei Desserttellern.
Es war Gabi gewesen, die auf der Scheidung bestanden hatte, nicht Helmut. Später, als sie zusammen auf dem Hof lebten und Freundinnen geworden waren, hatte sie manchmal über die Gründe gesprochen. «Ich wollte einfach nicht mehr einsam sein.» Sie hatte es hingenommen, es ja auch gar nicht anders gekannt, dass Helmut sein Beruf immer am wichtigsten gewesen war, dass sie die beiden Jungen quasi allein großgezogen hatte, aber irgendwann war ihr bewusst
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