Augenzeugen
einmal nach oben in sein Zimmer. «Ich mache mich sofort auf den Weg. Ich will nur ganz kurz noch telefonieren. Ihr zwei könnt ja schon mal den Tisch decken.»
Katharina zog eine Schnute. «Ich will doch erst malen!»
«Dann los!» Astrid nahm eine Zeitung vom Stapel auf der Eckbank und breitete sie auf der Tischplatte aus. «Wir decken heute einfach nicht. Wir essen direkt aus dem Schälchen.»
«Das ist Ferkelei», befand Katharina.
«Nicht, wenn man Servietten hat.»
Toppe scharrte ungeduldig mit den Füßen. Erst nach dem siebten Klingeln nahm Escher ab.
«Haben Sie das Puzzleteil gefunden?»
«Möglich wär’s.» Toppe musste trotz aller Anspannung schmunzeln. «Sehen Sie, die Soko hat sich damals im Ermittlungsverlauf hauptsächlich auf Fälle aus Ihrer Vergangenheit konzentriert und sich um die, die Sie gerade in Bearbeitung hatten, nicht mehr intensiver gekümmert.»
«Weil es da überhaupt nichts von Bedeutung gab, nichts, was irgendwie mit Alinas Entführung zu tun haben konnte.» Escher klang deutlich enttäuscht.
«Vielleicht stimmt das, aber es gibt auch eine andere Möglichkeit», entgegnete Toppe. «Was Ihnen und der Soko vordergründig banal vorgekommen sein mag, könnte für den Täter eine besondere Bedeutung gehabt haben. Und denken Sie noch einmal an das Motiv. Wenn es nicht Rache war, kann es nur Erpressung gewesen sein. Aber dabei kann es nicht um Geld gegangen sein, 150 000 Mark sind einfach zu wenig. Also wollte man etwas anderes von Ihnen. Sie sollten etwas tun oder vielleicht auch lassen. Was kann das gewesen sein? Etwas, was damals aktuell war. Denken Sie darüber mal in Ruhe nach!»
Escher schwieg.
«Man hat Sie seinerzeit vom Dienst suspendiert, nicht wahr?», fragte Toppe. «Wann genau war das?»
«Nach zwei Tagen schon, als Ihre Kollegen anfingen, mich in die Mangel zu nehmen.»
«Das passt», brummte Toppe zufrieden.
«Ich verstehe nicht … Oder meinen Sie …?»
«Den Anruf, ja. Ein einziger Anruf, weil Sie nämlich dem Täter nach Ihrer Suspendierung nichts mehr nützten oder ihm nicht mehr schaden konnten. Das wäre eine Erklärung. Haben Sie meine Handynummer? Rufen Sie an, wenn Ihnen etwas einfällt, egal wann.»
Katharina hatte die Zungenspitze in den Mundwinkel geschoben, wie immer, wenn sie sich konzentrierte, und kommentierte nuschelnd ihr Tun: «Die Wolken müssen blau … und eine gelbe Sonne … oh, über’n Rand gemalt! Ist nicht so sslimm, Mami?»
«Ist überhaupt nicht schlimm, das kann schon mal passieren.»
«Und das Haus mal’ ich ganz orange, so!»
Astrid schaute ihr über die Schulter. «Das ist nicht orange, Liebchen. Das ist eher rosa.»
«Miederfarben», dachte sie und erstarrte.
«Was soll ich bei der Pommesbude holen?»
Sie zuckte zusammen, als Toppe plötzlich hinter ihr stand. Dann zögerte sie nicht länger. «Katharina, darf ich mir deinen Stift ausleihen? Danke!»
Schnappte sich ihre Handtasche und lief an Toppe vorbei. «Ist bestimmt eine Schnapsidee, aber ich muss trotzdem nochmal nach Griethausen.»
Draußen lief sie ihrer Nachbarin in die Arme, die gerade klingeln wollte, um Helmut und sie auf ein Bier einzuladen. Das war bereits der dritte Annäherungsversuch, und Astrid ärgerte sich, dass sie wieder einmal nicht zusagen konnte, denn die Frau war ihr sympathisch. Sie musste in ihrem Alter sein, hatte vier halbwüchsige Kinder, einen blinden Cockerspaniel und zwei Katzen. Es war ein Rätsel, wie die ganze Bande in dem kleinen Reihenhaus zurechtkam, aber es schien zu funktionieren, denn Astrid hatte die Nachbarin noch nie gestresst erlebt. Tagtäglich karrte sie auf ihrem Fahrrad zentnerweise Lebensmittel an und sang dabei Kunstlieder, sehr schräg und sehr laut. So war Astrid bereits in den Genuss der munteren «Forelle» und des herzigen «Veilchens» gekommen und natürlich des eines Rösleins ansichtig werdenden Knaben. Einen Ehemann und Vater gab es auch, aber der schien nicht oft zu Hause zu sein. Er war eine ganze Stange älter und ein gutes Stück kleiner als seine Frau und hatte verschmitzte Augen.
Astrid versprach hoch und heilig, an ihrem nächsten freien Vormittag auf einen Kaffee zu kommen und dann einen gemeinsamen Kennenlerntermin abzusprechen.
«David schläft doch noch nicht, oder?»
«Ach wo, wir haben noch nicht einmal gegessen. Kommen Sie schnell, sonst brennen mir meine Speckläppchen an.»
Frau Wächter nahm Astrid mit in die Küche, wo es in einer Pfanne kräftig brutzelte,
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