Augenzeugen
Frage ist doch, seit wann wurde er verfolgt? Vielleicht sollten wir uns davon lösen, dass die Tat etwas mit Geldeks Geschäften oder mit seiner Vergangenheit zu tun hat.» Er hielt inne, als wäre ihm gerade ein neuer Gedanke durch den Kopf geschossen, sprach dann aber weiter: «Geldek fährt ganz normal von zu Hause los, und auf dem Oraniendeich wird er plötzlich verfolgt, von einem Einheimischen vermutlich, der ihn dann unter der Rheinbrücke erschlägt, im Affekt, wohlgemerkt. Liegt es da nicht nahe, dass zwischen Geldeks Haus und dem Deich irgendetwas passiert sein muss, das zu der Verfolgung geführt hat?»
«In Griethausen, meinst du?», fragte Astrid. «Das ist der einzige Ort, der dazwischen liegt.»
«Möglicherweise.»
«Griethausen ist ein Kaff», gab van Appeldorn zu bedenken. «Wenn da etwas vorgefallen wäre, hätte sich bei dem ganzen Presserummel längst jemand bei uns gemeldet.»
«Nicht unbedingt», antwortete Toppe. «Es kann sich doch um einen vordergründig ganz banalen Vorfall gehandelt haben, der nur für den Verfolger von Bedeutung war.»
Van Appeldorn raffte seine Sachen zusammen. «Na, dann los! Ich fahre.»
Cox, der immer noch vor dem Diagramm stand, sperrte den Mund auf. «Das kann doch nicht euer Ernst sein! Wegen so einer plötzlichen Eingebung wollt ihr hier alles stehen und liegen lassen? Wir haben doch gerade eben erst beschlossen, dass wir das hier noch einmal durchackern. Ich sehe da etliche neue Ansatzpunkte.»
«Dann halt du hier die Stellung und arbeite dran», meinte van Appeldorn.
Auch Astrid stand auf. «Haus-zu-Haus-Befragung?»
Toppe nickte. «Zu dritt müsste das ganz fix gehen.»
«Aber, aber …» Cox stammelte. «Das hat doch alles kein Hand und Fuß …»
Griethausen, vor Jahrhunderten einmal ein Fischerort, war ein Städtchen am Altrhein, zum Fluss hin von einer behäbigen Mauer eingefasst, die Schutz vor den alljährlichen Hochwassern bot. Enge, gepflasterte Gassen ohne Bürgersteige, Häuser aus den verschiedensten Epochen, die sich dicht aneinander schmiegten.
Sie stellten den Wagen auf dem Parkplatz am Anglerheim ab und begannen ihre Befragung in der Oberstraße, der Straße, durch die Geldek auf alle Fälle gefahren sein musste.
Wie immer war es ein zeitraubendes, ermüdendes Unterfangen. Die Leute waren misstrauisch, manchmal dauerte es lange, bis sie kapiert hatten, dass da die Polizei vor ihnen stand und nicht etwa ein Vertreter, der ihnen was andrehen wollte. Die meisten konnten sich nicht erinnern, was sie am 8. August gemacht hatten und ob da was Ungewöhnliches geschehen war. Einige kannten Geldek, auch seinen silbernen Mercedes, aber wann sie den das letzte Mal gesehen hatten – keine Ahnung. Neulich war ein Traktor mit hoch beladenem Hänger in der Bahnunterführung stecken geblieben, in der Kneipe hatte es vor vierzehn Tagen eine Schlägerei gegeben, aber das war abends gewesen, nicht am Nachmittag, und die Frau Poorten hatte neuerdings einen Geliebten, der immer kam, wenn ihr Mann auf Nachtschicht war.
Als sie sich wieder am Auto trafen, um die nächste Straße untereinander aufzuteilen, entdeckte Astrid am Anglerheim ein schon leicht ausgefranstes Plakat: Buntes Kinderfest am Mittwoch, dem 8. August, von 14 bis 17 Uhr – Tombola.
Die Tür des niedrigen Gebäudes war verschlossen, aber sie hörte drinnen jemanden sprechen und klopfte gegen die staubige Scheibe, die bedenklich klirrte.
Ein Mann kam, hob abweisend die Hände. «Wir haben zu», rief er mit übertriebenen Lippenbewegungen.
Astrid drückte ihren Ausweis gegen das Glas.
«Ob bei unserem Kinderfest was passiert ist? Nicht, dass ich wüsste. War eine Menge los. Aber warten Sie mal, ich meine, da wäre draußen irgendwann ein Kinderwagen umgekippt, mit dem Kind drin. Ist aber nichts passiert. Ich hab gehört, da soll ein Auto im Spiel gewesen sein, aber genau weiß ich das nicht. Nee, nee, gesehen haben wir das alle nicht. Wir waren ja noch mitten bei der Tombola. Wessen Kinderwagen das war? Der war von der jungen Frau Wächter. Die Kleine von der hat so geknötert, dass sie lieber nach Hause wollte. Die Frau Wächter? Die wohnt hier gleich um die Ecke im Mühlenweg.»
Sie klingelten schließlich an einem schmalbrüstigen, rosa getünchten Haus mit leicht angeschmuddelten Häkelgardinen.
«Frag erst, wer es ist, David!», hörten sie eine Frau. Dann ein Kinderstimmchen auf Höhe der Türklinke: «Wer ist da?»
Astrids Mund wurde weich, sie bückte sich. «Sag
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