Aura – Verliebt in einen Geist: Band 1 (German Edition)
zu weinen, mit Megan zu telefonieren oder irgendwelche schrecklichen Gerüchte im Internet zu lesen (falls mein Laptop die Ginger-Ale-Überschwemmung überhaupt überlebt hatte), wurde mir flau im Magen.
»Wo wohnst du?«
Zachary wartete schon vor dem Broadview-Apartmentkomplex in der Nähe der John Hopkins University auf mich, als ich dort ankam.
»Wow, du bist ja sogar richtig pünktlich«, sagte er, als er einstieg.
»Ich bin immer pünktlich.«
»Ich auch.« Er stellte seinen Rucksack in den Fußraum und schnallte sich an. »Ich hasse es, zu spät zu …« Er hielt mitten im Satz inne und sah mich besorgt an. »Bist du überhaupt in der Verfassung, Auto zu fahren?«
Ich nickte und rückte meine Brille zurecht, deren Bügel leicht verbogen waren, seit ich mich einmal aus Versehen draufgesetzt hatte. »Gestern musste ich ein Valium nehmen, um schlafen zu können«, fügte ich hinzu, während ich mich nach einem kurzen Schulterblick in den Verkehr einfädelte, »aber heute habe ich mich so weit wieder im Griff. In Zukunft können wir uns ja auf dem Campus der Hopkins University treffen, wenn wir an dem Projekt arbeiten. Dann haben wir es beide gleich weit. Ich wohne auf der anderen Seite in Charles Village.«
Der Fahrer des Wagens neben mir hupte, als ich auf die mittlere Spur wechselte. Zachary krallte sich unwillkürlich an der Armlehne fest, ließ sie aber sofort wieder los und kratzte sich lässig am Kinn, als wolle er beweisen, dass ihm mein rasanter Fahrstil nichts ausmachte.
»Wir sind vorübergehend in ein kleines möbliertes Apartment gezogen«, erzählte er, »bis mein Vater sich an der Universität eingerichtet und Zeit hat, uns etwas Richtiges zu suchen. «
»Dann seid ihr also wegen deinem Vater hierhergezogen. Ist er Gastprofessor?«
»So was in der Art. Er hat einen Vertrag für zwei Semester unterschrieben.«
»Und welches Fach unterrichtet er?«
»Politikwissenschaften.«
»Willst du später auch mal was in der Richtung machen?«, fragte ich.
Er stemmte beide Füße in den Boden, als wir – für seinen Geschmack offensichtlich zu abrupt – vor einer roten Ampel hielten. »Ich? Äh … nein. Was mein Vater macht, wäre überhaupt nichts für mich.«
»Dann wohnt ihr also zu dritt in der kleinen Wohnung oder hast du auch noch Geschwister?« Keine Ahnung, warum ich so viele Fragen stellte. Wahrscheinlich, weil ich Angst hatte, dass wir uns sonst verlegen anschweigen würden.
»Nein, nur ich und mein Vater.«
Die Ampel schaltete auf Grün und wir fuhren weiter. »Dann ist deine Mutter also in Schottland geblieben?«
»Wahrscheinlich.«
Ich musste über seine Antwort lachen. »Wahrscheinlich? Warum so geheimnisvoll?«
Zacharys Gesicht nahm einen verschlossenen Ausdruck an. »Falls es ein Geheimnis ist, bin ich nicht eingeweiht.«
»Oh, tut mir leid.« Eigentlich wäre das eine gute Gelegenheit gewesen, meine eigenen nicht vorhandenen Eltern zu erwähnen. Dann hätten wir wenigstens ein gemeinsames Gesprächsthema gehabt. Aber ich hatte einfach nicht die Kraft, über etwas zu sprechen, was mich noch trauriger machen würde, als ich es ohnehin schon war. Also schwiegen wir uns für die nächsten paar Minuten tatsächlich unbehaglich an, bis wir auf den Freeway fuhren, wo die Wolkendecke plötzlich aufriss und die Sonne herauskam.
»Wehe, du lachst!« Ich nahm meine Sonnenbrille aus der Ablage und schob sie über meine normale Brille, was mir das Aussehen eines überdimensionalen Käfers verlieh.
Zachary lachte nicht. »Kannst du so überhaupt etwas sehen?«
»Jedenfalls mehr, als wenn ich die Augen zusammenkneife.«
»Warum besorgst du dir keine Sonnenbrille mit geschliffenen Gläsern?«
»Weil die ganz schön teuer sind und ich sonst meistens Kontaktlinsen trage.« Heute hatte ich allerdings darauf verzichtet, weil meine Augen vom vielen Weinen ganz verquollen und entzündet waren.
»Puh, ganz schön heiß hier drin.« Zachary verrenkte sich, um unter dem Sicherheitsgurt seine dunkelbraune Lederjacke auszuziehen. Darunter trug er ein schwarzes Shirt, was mich ein bisschen neidisch machte. Leute, die vor dem Shift geboren worden waren, machten sich keine Vorstellung davon, wie nervig es war, jeden Morgen vor die Entscheidung gestellt zu werden, entweder ein rotes Kleidungsstück anzuziehen oder aber den kompletten restlichen Tag von Geistern belästigt zu werden.
Ich sah an meinem himbeerroten Pulli hinunter. Vielleicht sollte ich mir ein paar neue Sachen zulegen, wenn ich
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