Aura – Verliebt in einen Geist: Band 1 (German Edition)
Poster von Stonehenge, das ans Regal getackert war. »Die Menschen, die die Anlagen errichtet haben, über die du deine Arbeit schreiben willst, haben versucht, einen Sinn in Leben und Tod zu finden.«
Ich starrte in meinen Tee. Viel Glück dabei, dachte ich sarkastisch .
»Ich denke, das ist das, wonach wir alle suchen, hab ich recht?«, fügte Eowyn leise hinzu.
Ich nickte, hielt den Kopf aber weiter gesenkt.
»Und damit ihr die steinzeitlichen Astronomen verstehen lernt«, ihre Stimme nahm wieder einen unbeschwerten Ton an, »möchte ich, dass ihr euch wenigstens einmal im Monat an ihre Stelle versetzt.«
»Das wird hier in der Stadt aber schwierig«, wandte Zachary ein. »Sie haben die Lichtverschmutzung vorhin ja selbst erwähnt. Wenn ich hier nachts aus dem Fenster schaue, kann ich nicht besonders viele Sterne erkennen.«
»Keine Sorge. Ich habe da eine Idee.« Eowyn erhob sich leichtfüßig und ging zu ihrem Schreibtisch. Ich zog schnell den Ärmel meines Pullis über die Hand, um mir unauffällig eine Träne aus dem Augenwinkel zu wischen.
»Frank, ein guter Freund von mir, lebt auf einer einsamen Farm an der Staatsgrenze, wo es nachts so dunkel ist, dass die Sterne perfekt zu sehen sind.« Sie kam zum Tisch zurück und drückte mir eine weiße Visitenkarte aus handgeschöpftem Papier in die Hand, auf die ihr Name aufgedruckt war. Auf der Rückseite hatte sie eine Telefonnummer notiert.
Ich bedankte mich für die Karte und schob sie in meine Tasche. »Wissen Sie, ob es dort viele Geister gibt?«
»Hm.« Eowyn drehte nachdenklich ihren Obsidian-Ring hin und her. »Das musst du Frank selbst fragen, wenn du ihn anrufst. Aber da das ganze Gebiet schon immer Acker- und Weideland war, gehe ich eigentlich nicht davon aus.«
»Und selbst wenn, ich komme schon damit klar.« Ich versuchte, nicht verbittert zu klingen. »Schließlich bin ich daran gewöhnt. Außerdem wäre es auch irgendwie blöd, ich meine, haben Sie schon mal von einer Astronomin gehört, die im Dunkeln Angst hat?«
Eowyn hob die Hand. »Tja, ich bin so ein Exemplar.« Sie zuckte verlegen lächelnd mit den Schultern. »Dann würde ich vorschlagen, dass wir uns in einem Monat wieder hier in meinem Büro treffen und ihr mir eure erste Sternenkarte mitbringt. Sie muss nicht fehlerlos sein – im Gegenteil, wenn sie zu perfekt ist, müsste ich davon ausgehen, dass ihr sie aus einem Buch abgezeichnet habt. Gebt also einfach euer Bestes.«
Ich schaute sie noch einen Moment lang erwartungsvoll an, bis ich begriff, dass unsere Besprechung damit beendet war. »Das war alles? Und was ist mit meinen Recherchen? Ich meine … unseren Recherchen? Welche Bücher soll ich lesen, wo kann ich weitere Informationen herbekommen?«
»Wir haben noch das ganze Jahr Zeit, Aura.« Eowyn kniete sich neben mich und legte mir mit der behutsamen Fürsorglichkeit einer Kindergärtnerin einen Arm um die Schulter. »Ich gebe dir einen Tipp. Du wirst feststellen, dass du die ganz schwach funkelnden Sterne schärfer siehst, wenn du sie aus dem Augenwinkel betrachtest und sozusagen bewusst an ihnen vorbeisiehst. Diese Methode bezeichnen wir in der Astronomie als ›indirektes Sehen‹.«
»Okay.« Ich nickte, obwohl mir noch nicht so ganz klar war, wie dieses indirekte Sehen funktionieren sollte.
»Dasselbe gilt für die Antworten, die du suchst«, fuhr sie fort. »Um sie zu finden, darfst du nicht nur verkrampft auf eine einzige Stelle starren, sondern musst den Blick zwischendurch auch auf etwas anderes richten.« Sie drückte sanft meine Schulter. »Aber du wirst sie finden, glaub mir.«
Auf der Heimfahrt schwiegen Zachary und ich die meiste Zeit. Er sah auf der Wetter-App seines Handys nach, wann die nächste sternenklare Nacht vorhergesagt war, und wir beschlossen, am Donnerstag, wenn Neumond war, zur Farm von Eowyns Freund Frank zu fahren.
Ich wusste nicht, ob ich die Zeit bis dahin überhaupt überleben würde. Logans Aufbahrung war für morgen Abend angesetzt und zwei Tage später würde die Beerdigung stattfinden – ganz zu schweigen davon, dass ich am Montag in der Schule den ganzen Idioten gegenübertreten musste, die auf Facebook diese fiesen Gerüchte über mich verbreitet hatten.
Ich wusste selbst nicht, warum, aber statt kurz in zweiter Reihe vor dem Apartmentkomplex zu halten, um Zachary rauszulassen, fuhr ich in eine der Parkbuchten. Ein verfetteter weißer Chihuahua in einem orangen Mäntelchen mit aufgedruckten Halloweenkürbissen kläffte empört
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