Aura – Verliebt in einen Geist: Band 1 (German Edition)
hatten.
»Ich liebe dich, Logan«, flüsterte ich in den Regen hinein.
Der Grabstein war wie die meisten anderen auf dem Friedhof aus grauem Granit gehauen. Unter Logans Namen und seinem Geburts- und dem Sterbedatum war ein schlichter Bibelvers in den Stein gemeißelt.
DENN WAS SICHTBAR IST, DAS IST ZEITLICH. WAS ABER UNSICHTBAR IST, DAS IST EWIG .
Ich kannte den Spruch, weil der Priester ihn schon bei der Trauerfeier benutzt hatte, aber erst jetzt fiel mir auf, dass der Satzteil »was aber unsichtbar ist, das ist ewig« sich auch auf Schatten beziehen ließ. Der Gedanke erschreckte mich so, dass ich unwillkürlich einen Schritt zurücktrat und mit dem Fuß in einer der vielen Pfützen landete, die sich rings um das Grab gebildet hatten. Kaltes Wasser sickerte mir in den rechten Schuh.
»Was hat er zu dir gesagt?«
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass Mrs Keeley mit mir sprach.
Ich räusperte mich. »Wann?«
»Ich weiß nicht. Worüber redet er? Dylan erzählt uns nichts mehr.« Sie klammerte sich am Arm ihres Mannes fest, der neben ihr stand. »Wir glauben, dass er uns irgendetwas verschweigt.«
Dylan trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Bitte, Mom …«
»Es ist so still im Haus.« Mrs Keeley knetete ihre schwarzen Lederhandschuhe. »Mir war gar nicht bewusst, wie viel Logan geredet hat, bis er weg war. Seine Großmutter hat ihn immer kleines Plappermaul genannt.« Sie warf ihren anderen Kindern einen Blick zu. »Er hatte nie Geheimnisse vor uns.«
»Bis auf die Tätowierung«, sagte Mr Keeley und lächelte wehmütig, als würde ihm Logans kleine revolutionäre Geste im Nachhinein Respekt abnötigen.
»Stimmt.« Mrs Keeley sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an, und ich spürte einen Anflug von Missbilligung, als sie sich wieder mir zuwandte. »Kannst du uns sagen, wie er seine Zeit verbringt? Wo geht er hin? Ist er …« Einer ihrer Handschuhe fiel zu Boden. »Oh.«
Mr Keeley versuchte sich danach zu bücken, ohne seine Frau mit dem riesigen Regenschirm zu rammen.
»Lass mich das machen.« Mickey trat um den Grabstein herum und hob den Handschuh auf, doch statt danach zu greifen, als er ihn ihr reichen wollte, packte seine Mutter ihn am Arm und zog ihn mit einem Ruck an sich. Er verzog gequält das Gesicht.
»Mein Ältester ist so verschlossen wie eine Auster.« Sie lachte nervös. »Es würde mich nicht wundern, wenn er irgendwann Mönch werden und offiziell das Schweigegelübde ablegen würde.«
Wie um ihre Worte zu bestätigen, presste Mickey die Lippen zusammen.
»Aura?« Sie sah mich flehend an. »Sucht Logan denn überhaupt nach Frieden?«
»Also … ich … das weiß ich leider auch nicht«, stammelte ich.
»Wie können wir dazu beitragen, dass er ihn findet?«, fragte sie drängend. »Abgesehen von dem Prozess, meine ich. Der Gedanke, dass er im Fegefeuer enden könnte, zerreißt uns das Herz.«
Am liebsten hätte ich geantwortet: Lassen Sie diese verdammte Anklage fallen! Aber ich verkniff es mir, weil ich froh war, dass Mrs Keeley überhaupt wieder mit mir sprach. »Ich bin mir jedenfalls sicher, dass er nicht will, dass Sie sich Sorgen machen.«
»Klar. Er wollte nie, dass sich jemand Sorgen macht«, murmelte Siobhan. »Und genau deswegen haben sich alle immer Sorgen gemacht.«
Dylan schnaubte verächtlich.
»Was ist los?«, fuhr seine Schwester ihn an. »Habe ich vielleicht irgendetwas gesagt, das dir nicht passt?«
»Nein, ich finde es nur zum Kotzen, dass du über ihn redest, als wäre er nicht mehr da.«
»Weil er nun mal nicht mehr da ist!«, rief Siobhan. »Für uns ist er nicht mehr da. Er ist tot, Dylan. Logan ist tot.« Das letzte Wort brüllte sie laut hinaus und hielt sich dann erschrocken die Hand vor den Mund. »Verdammt.«
Mrs Keeley stöhnte auf und presste ihr Gesicht an die Schulter ihres Mannes. Ich spürte Ginas Hand in meinem Rücken und lehnte mich dankbar dagegen.
Dylan stieß die Schuhspitze ins Gras und kickte einen Erdklumpen gegen den Grabstein. »Es regnet in Strömen und es ist arschkalt, Leute. Ich setze mich ins Auto.« Er stakste mit hochgezogenen Schultern davon.
Mickey sank vor dem Grab in die Knie, griff in die feuchte Erde, zerdrückte sie zwischen den Fingern und murmelte etwas, das ich nicht verstehen konnte. Siobhan erstickte ihr Schluchzen in ihrem Kaschmirschal.
Mein Blick wanderte suchend über den Friedhof. Ich hatte damit gerechnet, dass er kommen würde. Dass er sich über die Inschrift auf dem Grabstein
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