Auracle - Ein Mädchen, zwei Seelen, eine Liebe (German Edition)
vordere Tasche und die Erinnerung trifft mich wie ein Schlag. Ich habe Reis Handy doch schon herausgeholt, ohne meine Hände dabei zu benutzen. Es liegt auf der Konsole im Auto. Ein schrecklicher Gedanke überfällt mich: Was, wenn Rei zu viel Blut verliert und stirbt, bevor ich Hilfe holen kann? Der Gedanke trifft mich vollkommen unerwartet. Denn obwohl ich weiß, dass es einLeben nach dem Tod gibt, bin ich nicht bereit, meinen besten Freund an das Jenseits zu verlieren.
»Ich habe es auf der Konsole liegen gelassen, oder?«, sagt Rei viel zu ruhig.
»Nein, ich habe es auf der Konsole liegen gelassen«, flüstere ich, weil ich nicht will, dass die letzten Worte, die Rei hört, laut und verärgert klingen.
»Schon in Ordnung, Anna.« Er hustet in die Beuge seines Ellenbogens, schaut auf die Blutspritzer, die jetzt dort zu sehen sind, und sieht mich dann mit festem Blick an. »Du bist meine beste Freundin und ich liebe dich sehr.«
Nein, das machen wir jetzt nicht. Wir werden uns nicht verabschieden. Ich tausche das blutige T-Shirt gegen ein sauberes Geschirrtuch. »Ich dachte, Seth ist dein bester Freund.«
»Nein.« Er legt den Kopf auf den Tisch und beobachtet mich. »Das warst immer du.«
»Gibt es in diesem Haus nicht noch ein zweites Telefon?«, höre ich Taylor fragen.
»Im Büro … «, antworte ich und zeige den Flur hinunter, ohne die Augen von Rei abzuwenden.
Denknachdenknachdenknach, Anna!
Ich kann Kopfschmerzen verschwinden lassen, und die Energie, die ich meinem Vater gegeben habe, hat geholfen, die tiefe Wunde an seinem Kopf zu heilen. Vielleicht kann ich Rei etwas Zeit verschaffen, indem ich die Blutung verlangsame. Er muss durchhalten, bis wir im Krankenhaus sind.
Ich schließe meine Augen und konzentriere mich. Ich weiß, dass laut physikalischer Gesetze positive Energie negative anzieht. Aber die positive Energie, die ich brauche, um Rei zuheilen, wird nur von positiver Energie angezogen. Ich verdränge meine Angst vor Reis Tod, meine negativen Gefühle gegenüber Taylor und meine Sorge, dass Yumi jeden Moment hereinkommen könnte. Denk an positive Dinge, Anna, sage ich mir selbst. Ich sauge die positive Energie auf und stelle mir vor, dass Reis Rücken wieder heil ist. Vorsichtig berühre ich seinen Rücken, lasse meine Finger durch das Blut gleiten, bis ich eine Rille spüre und Rei zusammenzuckt. Was, wenn ich mehr kaputt mache als heile? Was, wenn ich aus Versehen eine Arterie verschließe? Daran darf ich jetzt nicht denken. Ich muss fest glauben, so wie in der Nacht, als ich wusste, das Licht würde Taylor vertreiben.
»Licht.« Ich weiß nicht, ob Rei absichtlich flüstert oder einfach keine Kraft mehr hat. Ich öffne die Augen, und da ist es. Das Licht, das Taylor so sehr hasst. Es bildet einen Kegel und ist ganz nah bei Rei. »Ist das für mich?« In seiner Stimme schwingt keine Angst mit, nur Neugier.
Ich schüttle den Kopf und schließe meine Augen wieder.
»Da hinten gibt es auch kein Telefon.« Taylors Stimme kommt aus dem Flur. Als sie das Licht sieht, wird ihr Tonfall schrill: »Warum ist das Licht da?«
Ich kann sie nicht zum Schweigen bringen, aber es gelingt mir, sie auszublenden. Es steht zu viel auf dem Spiel, ich kann mich nicht von ihr ablenken lassen. Rei. Dieser eine Gedanke reicht aus. Ich konzentriere mich ganz und gar auf Rei. Ich lasse Energie von meinen Fingerspitzen in seine Wunde fließen, bis ich mich leer fühle. Dann sauge ich noch einmal positive Energie aus dem Universum auf und gebe sie ihm. Ich konzentriere mich auf Rei und seine Vibration, die mir so vertrautist. Sie ist schwach, aber ich kann sie immer noch wahrnehmen. Rei atmet ruhiger und das Rasseln in seiner Atmung hat aufgehört.
»Anna, was machst du da?«, höre ich Taylors Stimme an meinem Ohr. Das macht es schwerer, sie auszublenden.
Rei nimmt einen tiefen Atemzug. »Das Licht ist weg.«
»Wirklich?« Ich öffne die Augen.
»Blute ich noch?«
Ich wische das Blut weg, aber der Schnitt ist verschwunden.
Sogar Taylor ist beeindruckt. »Wie hast du das gemacht?«
Ich zucke mit den Achseln und suche Reis Rücken nach einer Narbe oder einem Kratzer ab – irgendetwas, das auf die Verletzung hinweist. Unter dem Blut ist nichts außer vollkommen heiler Haut.
»Bist du wirklich okay?«, frage ich Rei leise.
»Jetzt schon. Und du?«
Ich denke über all das nach, was gerade passiert ist und über das, was ich gerade getan habe. Kopfschmerzen zu vertreiben, ist nichts Großartiges. Yumi
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