Auracle - Ein Mädchen, zwei Seelen, eine Liebe (German Edition)
Beileid zu bekunden.«
»Dann müssen sie eben warten.« Taylor ist dickköpfig. Aber der Raum ist vollkommen überfüllt, und als Rei sie zur Seite zieht, rückt sofort der Nächste zu Taylors Mutter auf. Rei führt Taylor zur Ausgangstür. »Warum ziehst du mich weg?«, will sie wissen.
»Weil du eine Szene gemacht hast«, antwortet Rei, ohne sie anzusehen. »Ich weiß, du denkst, dass Seth etwas mit der ganzen Sache zu tun hat. Aber du solltest deine Meinung besser für dich behalten. Seth ist unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist.«
»So ein Unsinn! Er ist schuldig«, beharrt Taylor, als sie den Ausgang erreichen. Draußen ist es einige Grad kälter, Reis Aura färbt sich orangerot.
Taylor entzieht sich seinem Griff. »Hör auf, meinen Arm so fest zu packen. Was ist denn nur mit dir los? In einem Moment bist du nett und im nächsten behandelst du mich plötzlich wie Scheiße.«
»Ich behandle dich nicht wie Scheiße. Ich kann es nur nicht hören, wenn du Seth beschuldigst, obwohl er nichts getan hat«, erwidert Rei.
»Sieh mal, Rei, entweder du bist auf meiner Seite oder auf seiner. Entscheide dich.«
War sie nicht ein paar Minuten zuvor noch vollkommen aufgelöst und hat geweint? Jetzt sieht sie aus, als wolle sie Rei gleich eine reinhauen. Rei weiß, dass er nicht gewinnen kann. Egal, was er sagt. »Ich kann mich nicht für einen Freund entscheiden und den anderen links liegen lassen. Aber«, seine Stimme wird sanft, »wir sind seit einer halben Ewigkeit befreundet. Das können wir nicht einfach wegwerfen.«
»Ich will nicht einfach nur einer deiner Freunde sein.« Taylor trägt zehn Zentimeter hohe Absätze. Sie nutzt die Größe zu ihrem Vorteil. »Wenn du mit mir befreundet sein willst, dann musst du schon mit mir zusammen sein.«
Rei verschränkt die Arme vor seiner Brust. »Darüber haben wir doch schon geredet.«
»Und wir können weiter darüber reden, während du mich nach Hause fährst.« Sie greift nach dem Messinggriff der Tür und zieht fest daran. »Ich bin in ein paar Minuten wieder da.«
Rei lehnt sich gegen das Treppengeländer. Während er wartet, schließt er seine Augen und seine Atmung wird langsamer und tiefer.
Ich beobachte Taylor, wie sie sich einen Weg durch die Menge bahnt. Obwohl ich nie viel Zeit vor dem Spiegel verbracht habe, weiß ich, wie ich aussehe. Und so sehe ich bestimmt nicht aus. Sie hat meine Haare frisiert, meine Augenbrauen gezupft, mein Gesicht mit Make-up beschmiert und mir ein tief ausgeschnittenes T-Shirt und einen schwarzen Minirock angezogen. Außerdem läuft sie mit einem Hüftschwung, den ich sicherlich nie hatte. Ich glaube, sie stopft sogar meinen BH aus.
Ihre alten Freunde sitzen immer noch in ihrer Schlangengrubeund zischeln vor sich hin. Sie haben sich mittlerweile die Sonnenbrillen auf die Stirn geschoben und ihre High Heels ausgezogen, als etwas für sie Unvorstellbares passiert: Annaliese Rogan durchbricht selbstbewusst ihren Kreis und setzt sich auf die gepolsterte Lehne von Vienna Beaulatis’ Stuhl. Die Überraschung in ihren Blicken ist unbezahlbar. »Hi. Ich weiß nicht, ob ihr mich kennt«, sagt Taylor. »Ich bin Annaliese. Ich will euch nur sagen, wie traurig ich über den Tod eurer Freundin Taylor bin.«
Die Angesprochenen reagieren wie auf Knopfdruck. Alle reißen ihre Augen und Münder gleichzeitig auf. Ich habe den Ruf, eines der schüchternsten Mädchen an der Schule zu sein – mehr ein Schatten als eine lebende Person. Nachdem sich Taylors Freunde von ihrem ersten Schock erholt haben, versuchen sie zu begreifen, wer oder eher was ich bin.
»Warst du nicht in der neunten Klasse im Turnteam?«, fragt Olivia Farrell. Ja, ganze sechs Wochen lang. In der fünften und sechsten Klasse hatten Rei und Seth eine Ninja-Phase. Dadurch habe ich ziemlich viel Akrobatik gelernt. Ich war sogar richtig gut. Rei hat mich damals überredet, dem Mädchen-Turnteam beizutreten. Er meinte, es sei gut für mich, es würde mich aus meinem Schneckenhaus befreien. Gott hat einigen von uns aus gutem Grund ein Schneckenhaus gegeben – man muss nur mal die Schnecke selbst fragen. Ich habe das damals gemacht, um ihn glücklich zu machen, aber auch ein bisschen, um ihm zu beweisen, dass ich es schaffen kann. Leider waren die meisten Wettkämpfe mindestens eine Stunde Fahrtzeit entfernt. Und ich hasste es, meine Teammitglieder um Mitfahrgelegenheiten anzuschnorren, genauso wie ich es hasste,in klaustrophobischen Hallen vor Hunderten von Menschen
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