Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
ihm auf die Nerven zu fallen. »Sie werden bestimmt eine gute Anwältin werden.«
    Das schien sie amüsant zu finden, vermutlich hatte sie so was schon einmal gehört. Er zog den Packen mit den Dollarscheinen aus der Tasche, und sie hörte auf zu lachen. Es sah aus, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen.
    »Also, wie lautet das neue Gesetz über Prostitution, Sinaida Rapawa?« Ihre Augen hingen an dem Geld wie die einer Mutter an ihrem Kind. »Sie sind die Anwältin. Sagen Sie es mir. Wie viele Männer stecken in diesem kleinen Packen? Hundert? Hundertfünfzig?« Er blätterte die Scheine durch. »Müssen bestimmt hundertfünfzig gewesen sein – schließlich werden Sie nicht jünger. Aber die anderen werden es, oder? Die werden von Tag zu Tag jünger. Ich bin ziemlich sicher, daß Sie nie wieder soviel zusammenbekommen werden.«
    »Mistkerl…«
    Er beförderte die Dollars von Hand zu Hand. »Denken Sie darüber nach. Hundertfünfzig Männer dafür, daß Sie mir sagen, wo ich einen finden kann. Hundertfünfzig für einen. Das wäre doch kein so schlechter Handel.«
    »Mistkerl«, sagte sie noch einmal, aber diesmal weniger heftig.
    Er beugte sich vor. Seine Stimme wurde sanft und schmeichlerisch. »Nun kommen Sie schon, Sinaida Rapawa: Wo ist Fluke Kelso? Es ist wichtig.«
    Und einen Augenblick lang hatte er den Eindruck, daß sie es ihm verraten würde. Aber dann verhärtete sich ihr Gesicht wieder. »Sie«, sagte sie. »Mir ist völlig egal, wer Sie sind. In der Hurerei steckt mehr Ehrlichkeit.«
    »Da mögen Sie recht haben«, sagte Suworin verbindlich. Plötzlich warf er ihr das Geld zu. Es prallte von ihrem Schoß ab und landete auf dem Fußboden zwischen ihren Füßen. Sie bückte sich nicht einmal, um es aufzuheben, sondern sah ihn nur an. Und da empfand er eine große Traurigkeit: Er war traurig über sich selbst, daß es so weit mit ihm gekommen war, daß er auf dem Bett einer Hure im Stadtteil Sajause saß und versuchte, sie mit ihrem eigenen Geld zu bestechen. Und traurig wegen ihr, weil Bunin tatsächlich recht damit behielt, daß sie einen Sprung in der Schüssel hatte, und weil er sie jetzt würde ganz zerbrechen müssen.

20. Kapitel
    Es schien überhaupt nicht richtig hell zu werden, sogar Stunden nach Anbruch der Morgendämmerung noch nicht. Es war, als hätte der Tag sich bereits aufgegeben, noch bevor er richtig begonnen hatte. Der Himmel blieb grau, und das lange Betonband, das vor ihnen lag, verschwamm in feuchtem Dunst. Zu beiden Seiten der Straße lag holpriges, totes Gelände aus rostfarbenen Sümpfen und bleichgelben Ebenen – die subarktische Tundra –, die in einiger Entfernung in dichte, dunkle Kiefern und Tannenwälder übergingen.
    Es begann zu schneien.
    Auf der Straße herrschte starker Militärverkehr. Sie überholten eine lange Kolonne aus Panzerfahrzeugen. Kurz danach sahen sie die ersten Hinweise auf menschliche Ansiedlungen – Schuppen, Scheunen, hier und da eine Landwirtschaftsmaschine – und sogar eine Kolchose mit einem zerbrochenen Emblem mit Hammer und Sichel über dem Tor und einem alten Slogan: PRODUKTION IST UNERLÄSSLICH FÜR DEN SLEG DES SOZIALISMUS.
    Nach ein paar Kilometern führte die Straße über eine Bahnlinie, und vor ihnen tauchte eine Reihe von großen Schornsteinen auf, die schwarze Rauchfahnen in den Schneehimmel aufsteigen ließen.
    »Das muß es sein«, sagte Kelso und schaute von der Karte auf. »Die M8 endet hier in den südlichen Vororten.«
    »Scheiße«, sagte O’Brian.
    »Was ist?«
    Der Reporter gestikulierte mit dem Kinn. »Straßensperre.«
    Ein paar hundert Meter weiter winkten zwei GAI-Polizisten, die Schußwaffen trugen, mit Leuchtkellen jedes Fahrzeug an den Straßenrand, um die Papiere der Insassen zu überprüfen.
    O’Brian schaute schnell in den Rückspiegel: jetzt noch zurückzusetzen war zwecklos – hinter ihnen stauten sich schon zu viele Fahrzeuge. Und die Betonleitplanke zwischen den Fahrbahnen machte eine Kehrtwende in Richtung Süden unmöglich. Sie wurden in eine einspurige Schlange gelenkt.
    »Was hatten Sie behauptet?« sagte Kelso. »Mein Visum? Nicht der Rede wert?«
    O’Brian trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad. »Was meinen Sie – ist das eine ständige Sperre, oder gilt sie nur uns?«
    Kelso sah einen GAI-Mann in einer Glaskabine, der in einer Zeitung las.
    »Ich würde sagen, es ist eine ständige.«
    »Wenigstens etwas.« O’Brian begann, in seinem Handschuhfach zu wühlen. »Setzen Sie Ihre Kapuze auf«,

Weitere Kostenlose Bücher