Aurora
stopfte das Geld in die Tasche. »Was für ein Mensch ist sie?«
»Ein hartes Weibsstück, Major. Aus der werden Sie nicht viel herausbekommen.« Er tippte sich an den Kopf. »Hat vermutlich einen Sprung in der Schüssel.«
»Danke, Leutnant, für diesen wertvollen psychologischen Kommentar. Sie können hier unten warten.«
Suworin stieg die Treppe hinauf. Im ersten Stock lugte eine Frau mittleren Alters, die Lockenwickler trug, mit dem Kopf zur Tür heraus.
»Was geht hier vor?«
»Nichts, gute Frau. Reine Routinesache. Sie haben nichts zu befürchten.«
Er setzte seinen Weg fort. Er mußte etwas herauskriegen, dachte er. Sie war der einzige Anhaltspunkt, den er hatte.
Vor der Wohnung der Frau straffte er die Schultern, klopfte höflich an und trat ein. Ein Mann von der Miliz erhob sich.
»Danke«, sagte Suworin. »Wir wär’s, wenn Sie jetzt hinuntergehen und dem Leutnant Gesellschaft leisten würden?«
Er wartete, bis sich die Tür geschlossen hatte, bevor er Sinaida eingehender musterte. Sie trug eine graue Wolljacke über ihrem Kleid, saß mit übergeschlagenen Beinen auf dem einzigen Stuhl im Raum und rauchte. In einer Untertasse auf dem kleinen Tisch neben ihr lagen die Stummel von fünf Zigaretten. Die Wohnung bestand nur aus diesem einen Zimmer, aber sie war sauber und hübsch eingerichtet, mit massenhaft Hinweisen darauf, daß Sinaida reichlich Geld zum Ausgeben hatte: ein Fernseher westlicher Herkunft mit einem Satelliten-Decoder, ein Videorecorder, ein CD-Player, eine Kleiderstange voller Klamotten, die alle schwarz waren. In einer Ecke war eine kleine Küche abgeteilt. Eine Tür führte ins Bad. Dann war da noch eine Couch, die sich vermutlich zu einem Bett ausklappen ließ. Er stellte fest, daß Bunin recht gehabt hatte, was ihre Hand anging. Unter den Nägeln der Hand, die die Zigarette hielt, war verkrustetes Blut. Sie sah, daß er ihre Finger betrachtete.
»Ich bin hingefallen«, sagte sie, löste die Beine voneinander und zeigte ihm ein aufgeschürftes Knie und eine zerrissene Strumpfhose. »Zufrieden?«
»Ich möchte mich setzen.« Sie antwortete nicht, also setzte er sich unaufgefordert auf die Kante der Couch, schob zwei Spielsachen beiseite, einen Soldaten und eine Ballerina. »Sie haben Kinder?« fragte er.
Keine Antwort.
»Ich habe Kinder. Zwei Jungen.« Er suchte das Zimmer nach einem anderen Gesprächsthema ab, irgendeiner Möglichkeit, das Gespräch zu eröffnen, aber nirgendwo waren irgendwelche persönlichen Gegenstände zu entdecken, keine Fotos, keine Bücher – abgesehen von juristischen Werken –, kein Wandschmuck oder Nippes. Da war eine Reihe von CDs, alle mit westlicher Musik und alle von Leuten, von denen er noch nie etwas gehört hatte. Es erinnerte ihn an eine von Jassenewos konspirativen Wohnungen – Orte, in denen man eine Nacht verbringt und dann weiterzieht.
»Sind Sie Polizist?« sagte sie. »Sie sehen nicht aus wie ein Polizist.«
»Nein.«
»Was sind Sie dann?«
»Die Sache mit Ihrem Vater tut mir leid, Sinaida Rapawa.«
»Danke.«
»Erzählen Sie mir von Ihrem Vater.«
»Was gibt’s da zu erzählen?«
»Sind Sie gut mit ihm ausgekommen?« Sie schaute woanders hin.
»Ich frage mich nämlich, weshalb Sie sich nicht gemeldet haben, nachdem seine Leiche entdeckt worden war. Sie waren gestern vor seinem Haus, als die Miliz dort war. Und dann sind Sie einfach davongefahren.«
»Ich war ziemlich mitgenommen.«
»Natürlich.« Suworin lächelte sie an. »Wo ist Fluke Kelso?«
»Wer?«
Nicht schlecht, dachte er; sie hat nicht einmal mit den Augen gezuckt. Aber schließlich wußte sie nicht, daß er Kelsos Aussage hatte.
»Der Mann, den Sie letzte Nacht zur Wohnung Ihres Vaters gefahren haben.«
»Kelso? Hat er so geheißen?«
»Oh, Sie sind eine spitze Person, Sinaida Rapawa. Spitz wie ein Messer. Also, wo waren Sie den ganzen Tag?«
»Ich bin herumgefahren. Habe nachgedacht.«
»Nachgedacht über Stalins Notizbuch?«
»Ich weiß nicht, was Sie…«
»Sie waren doch mit Kelso zusammen?«
»Nein.«
»Wo ist Kelso? Wo ist das Notizbuch?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Was haben Sie übrigens damit gemeint – Sie sind kein Polizist? Haben Sie irgendeinen Ausweis?«
»Sie haben den Tag mit Kelso verbracht…«
»Sie haben kein Recht, sich ohne die erforderlichen Papiere in meiner Wohnung aufzuhalten. Das können Sie hier nachlesen.« Sie deutete auf eines ihrer juristischen Werke.
»Sie studieren Jura, Sinaida Rapawa?« Sie fing an,
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