Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
der
Fahnenmitte. In rascher Folge wechselten die Bilder vor seinem geistigen Auge,
überlappten sich in immer schnelleren Sequenzen. Der Seemannsknoten im
Medaillon des Banners platze wie einst der Gordische Knoten, dann zerhieb
Alexander der Große das erhabene Seemannssymbol auf dem Gullydeckel und
zerteilte den Deckel in zwei Hälten.
Für den Bruchteil eines Wimpernschlages fügte
sich, wie in einem superschnellen Zeitraffer von Geisterhand geschoben, ein
Mosaik passgenau zusammen. Fragmente formten sich zu einem blassen, unscharfen
Bild. Das große Warum schien sich zu offenbaren.
Und schon stoben die Teile wieder auseinander,
als er Rebecca tief dekolletiert fünf Schritte vor sich stehen sah und seine
berufsnotorische Neugier erlahmen ließ.
Ein tiefes Dekollete ist und bleibt die weibliche
Allzweckwaffe, die Männer schwach und weniger proportionierte Frauen
stutenbissig werden lässt, entzückte sich Hanson. Ihre Haare waren apart im
Nacken zusammengesteckt. Sie griff sich ordnend ins Haar. Ein leichter Luftzug
spielte lustig mit ihren blonden Haarsträhnen auf der Stirn. Ihr lindgrünes
Kostüm betonte ihre weibliche Figur mehr, als es zu verdecken imstande war.
Ihren Lippen hatte sie nur den Hauch eines Lippenstiftes gegönnt. Das schwarze,
tief dekolletierte Top ließ ihren Busen wie in reinem Elfenbein erscheinen.
Eine Perle an einer feingliederigen Goldkette wogte mit jedem ihrer Atemzüge
auf dem elfenbeinernen Busen auf und nieder. Eine kaum zu verhüllende
Sinnlichkeit ging von ihr aus. Die Fleisch gewordene Versuchung, dachte Hanson.
Gelähmt von ihrer erotischen Aura, konnte er seinen Blick nicht von der Perle
lassen. Rebecca ist eine Schönheit. In mitten junger Frauen würden gestandene
Männer ihre Blicke auf Rebecca richten. Und die Unglücklichen unter ihnen wären
froh, von ihr aus der Bedrängnis ihrer Sexualnöte gerissen zu werden, dachte
Hanson versonnen und wunderte sich, dass es ihm gelungen war, mit ihr
anzubandeln. In zehn Jahren vielleicht, mit einigen Pfunden mehr auf den
Rippen, würde sie eine üppige Rubensschönheit sein, schmunzelte Hanson in sich
hinein.
Mit raschen Schritten flog sie ihm an den Hals,
umarmte und küsste ihn, erst ungestüm dann zärtlich lange und ausdauernd auf
den Mund. Ihrer Zunge setzte er keinen Widerstand entgegen. Hanson spürte ihre
Erregung, sie schien zu vibrieren. Er verlor sich in ihrer Umarmung und wusste
nicht zu differenzieren, was erregender war, ihr Kuss oder ihre strammen
Brüste, die sie ihm entgegenpresste. Ihre Haare dufteten wunderschön. Die
Rezeptoren seiner Nase fingen den Duft von Sandelholz mit einer winzigen Note
Maiglöckchen auf. Eine angenehme Wärme durchströmte seinen Körper. Ein Gefühl,
ein Glücksgefühl, das er viel zu lange hatte missen müssen, bemächtigte sich
seiner. Viel zu lange hatte er sich das Wesentliche, das Wahre im Leben versagt.
Die Trauer um Hellen hatte alles Feuer in ihm erstickt und die frühere
ungestüme Leidenschaft war ohnehin durch die Reife der Jahre gedämpft. Doch nun
begannen die lange vermissten Reize wieder seine Nervenbahnen zu durchfluten,
deren Wellen auch seinen Unterleib erreichten. Seit langer Zeit regte sich
wieder etwas in ihm, in seinem Schritt. Langsam erkannte sein Verstand, was
sein Gefühl schon lange realisiert hatte. Er begehrte und liebte wieder. Ja,
Hellen war in weite Ferne gerückt. Plötzlich drängte sich ihm eine beschämende
Frage auf. Begehrte er Rebecca nur und glaubte, deshalb sie zu lieben? Egal, es
war schön, sie zu küssen und in den Armen zu halten. Er wünschte sich, der Kuss
würde ewig andauern.
Sie spürte seine Erregung. Mit einem zarten Biss
in seine Unterlippe, weit unterhalb der Schmerzgrenze, löste sich Rebecca von
ihm und flüsterte verschmitz: „Damit du mich nicht vergisst“. Mit seiner Zunge
tastete Hanson seine Unterlippe ab und glaubte Blut zu schmecken. Zuneigung
durch einen solch sinnlichen Biss signalisiert zu bekommen, war ihm noch nie
passiert. Schlagartig hatte sich seine Welt verändert, nichts war mehr wie
vorher. Der Alltag war weniger grau, seine Sorgen weniger groß. Ihretwegen
könnte, ja, wollte er sich ändern. An Rebecca könnte sich sein schwacher Wille
emporranken und stärker werden, ihn zu einem anderen Leben befähigen und
Hellens Befürchtungen ad absurdum führen. Ja, nun wollte er sich ändern.
Sie hatte sich bei ihm untergehakt. Schweigend
bummelten sie Schulter an Schulter am Kiosk vorbei der Promenade zu.
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