Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
hinterließ.
„Typisch, war nicht anders zu erwarten. Ihre
Nervosität überträgt sich auf meinen Hund. Diese Rasse ist hypersensibel und
spürt Ihren Stress“, belustigte sich Hunter mit klammheimlicher Freude in Richtung
des fassungslosen Chefs des Protokolls.
In Downtown Halifax wurde zur gleichen Zeit der
Konferenzsaal wieder gelüftet. Die Repräsentanten der führenden sieben
Industriestaaten sowie Jacques Santer als Vertreter der Europäischen Union
zogen sich mit ihren untergeordneten Helfern und den „Sherpas“ erneut zur
Klausur zurück. Der zweite Absatz auf der vorletzten Seite des
Abschlusskommuniques musste nachgebessert werden. In der Niederschrift war ein
Partizip präsens mit einem Partizip perfekt verwechselt worden. Das konnte oder
wollte der französische Präsident der Grande Nation nicht unterschreiben. Auch
der englische Premier reklamierte weiteren Beratungsbedarf. „Alles
Korinthenkacker“, zürnte der deutsche Kanzler. „Diese versehentliche
Verwechslung ist doch ein völlig belangloses Detail. Nichts wird im Kontext
sinnentstellt. Aber ohne Belehrung und Nachbesserung, die uns wieder um Stunden
zurückwirft, kann der Franzmann wohl nicht leben. Und dem John Major hätte ein
wenig mehr Nonchalance besser zu Gesicht gestanden. Aber die Tommys müssen
immer was zu quaken haben. Auf das Dinner und die gemütlichen Kamingespräche
werden wir uns noch gedulden müssen“.
Des Kanzlers Stimme war wieder, wie in solchen
Situationen üblich, hohntriefend und voll bitterem Sarkasmus. „Aber was
soll’s“, sagte er sich und schaute auf seine Armbanduhr, „das Damenprogramm ist
ja ohnehin noch nicht beendet“.
„Ja, Kamingespräche, da kannste dich wieder
wichtig machen“, dachte der Erste Dolmetscher, der auf solchen Konferenzen
immer wie ein Schatten an des Kanzlers Seite klebte. „Wenn ihn doch das
Fernsehen mal in einer solchen Gemütskonstellation erwischen würde, wäre seine
nächste Kanzlerkandidatur schon erledigt, noch bevor der Wahlkampf überhaupt
angefangen hätte“, resümierte der Dolmetscher die schlechte Laune seines Chefs.
Aber dieser Mensch war ein perfekter Machtmensch und verstand es vorzüglich,
sich vor einem Millionenpublikum konziliant und von einer Seite zu zeigen, die
auch im entferntesten nicht sein Innerstes widerspiegelte. Er wusste mit seiner
Körperfülle, die Gemütlichkeit und Wohlbehagen ausstrahlte, Massen zu täuschen
und Wählerstimmen zu ködern.
Die niedrigen Chargen, wie Sekretärinnen und
Stenographen wurden nicht mehr gebraucht. Ihre Anwesenheit würde im
Flemming-House im Gegensatz zu den Dolmetschern entbehrlich sein.
Der Chef-Dolmetscher blätterte zum wiederholten
Male seine Notizen durch, machte hier und da Randnotizen und benutzte dabei die
Fensterbank als Schreibunterlage. Im Hof rangierten die schweren Karossen und
formierten sich in Reih und Glied zur Abfahrt in den Flemming-Park. Die
Stretchlimousine von Bill Clinton und die Sicherungsfahrzeuge fanden kaum Platz
auf dem engen Hof. Einige Chauffeure hatten sich mit Staubtüchern bewaffnet und
befreiten die Limousinen von der letzten Staubkrume. An den vorderen Kotflügeln
waren die Stander längst montiert. Die schwarz-rot-goldene bundesdeutsche
Dienstflagge mit Adler zierte das erste Fahrzeug in der Aufstellung. Dem
Dolmetscher dämmerte es langsam, warum der Kanzler zu Beginn der Konferenz
vehement darauf bestanden hatte, die Fahrzeuge im Konvoi in alphabetischer
Reihenfolge entsprechend ihrer Länderkennung fahren zu lassen. Federal Republic
of Germany stand in der alphabetischen Abfolge nach Canada an zweiter Stelle,
vor allen anderen Teilnehmerstaaten. Deutschland durfte folglich mit an der
Spitze des Konvois fahren. Nur so wusste der Kanzler seine Eitelkeit zu
befriedigen, um sich gleich hinter der polizeilichen Motorradeskorte als zweites
Konvoifahrzeug in den Park chauffieren zu lassen. Der akkreditierten Schar des
dort wartenden Pressecorps vermochte er dann vor allen anderen Regierungschefs
ein Interview zu gegeben und andere Nuancen zu setzen, als im
Abschlusskommunique vereinbart waren.
„Kinderspiele, ausgesprochene Kinderspiele“,
grummelte der Dolmetscher verächtlich in sich hinein.
Hätte der deutsche Kanzler auch nur im
Entferntesten geahnt, in welche Gefahr ihn seine Gefallsucht bringen würde,
seinem größten Widersacher überließe er die Spitze des Konvois.
Keinem schwante die Gefahr, in der sich die
Konferenzteilnehmer mitsamt ihrem Tross
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