Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
Wirkung, dachte Hanson verbittert, wenn er sich an diesen Fall erinnerte.
Lange Zeit konnte er es nicht verwinden, einen gleichsam überführten Mörder auf
freiem Fuß zu sehen, der nur durch eine schmierige Abwehrstrategie eines
ebensolchen Rechtsverdrehers, wie Hanson in seiner Wut manchmal Rechtsanwälte
nannte, freigekommen war.
„Dag, man wächst auch an seinen Misserfolgen und
ein Schuldiger wird durch eine solche Panne nicht unschuldig“ versuchte Wolff
ihn seinerzeit zu trösten. „Irgendwann wird ihn die gerechte Strafe ereilen“.
Ein solcher Winkeladvokat war Haller nie
gewesen. Von einem vielversprechenden Anwalt hatte er sich zu einem guten und
bissigen Kriminalisten gemausert, den zu fördern sich lohnte. Er entwickelte
sich zu einem gleichwertigen Mitarbeiter, mit dem ihn auch eine
Seelenverwandtschaft verband, die freilich einen anderen Ursprung hatte. Haller
war ein Bruder im Geiste, seine Rechtsverdrossenheit rührte von einem
persönlichen Schicksalsschlag, während seine eigene sich auf die jahrelange
Berufserfahrung gründete. Gleichwohl legte Haller oft ein enthusiastisches
Jagdfieber an den Tag, das er selbst in dieser Form nie besessen hatte. Hallers
Jagdinstinkt war noch nicht so erfolgreich, war eben noch nicht von einer
jahrelangen Berufserfahrung geprägt.
In einem fühlte sich Hanson dem Haller noch
überlegen. Er konnte einfach auf einen größeren Erfahrungsschatz zurückblicken,
den Haller erst in einigen Jahren besitzen würde. Immer öfter erinnerte dieser
Heißsporn ihn an seine eigenen, ersten Jahre beim Bundeskriminalamt. Wie oft
hatte ihn damals Wolff ermahnen oder zurechtweisen müssen.
Haller mit seiner klassischen humanistischen
Bildung wäre in einigen Jahren zweifellos ein ausgezeichneter
Kommissariatsleiter, der auch gegenüber seinen zukünftigen Mitarbeitern ein hohes
Maß an Gerechtigkeit würde walten lassen.
Ja, Haller zu fördern, hatte Hanson sich
vorgenommen. Er sah sich Haller gegenüber in der gleichen Position wie früher
Wolff sich ihm gegenüber gesehen haben musste. Das Gefühl, einem jungen und
überaus fähigen Kollegen die gleichen Wohltaten zukommen zu lassen, die er
einst selbst von seinem Mentor bekommen hatte, tat Hanson gut.
Haller erhob sich von seinem Stuhl, schaltete
den Laptop und Beamer ein und begann seinen Lichtbildvortrag.
Neues erfuhr Hanson nicht. Wie auch, er selbst
hatte ja beide Tatortaufnahmen geleitet. Es bereitete ihm Freude, Haller
zuzuhören. Präzise, ausdrucksvoll, plastisch und prägnant waren seine
Ausführungen. Ein wenig war er stolz auf diesen jungen Kollegen, war er doch
durch seine Schule gegangen.
Er war mit Haller zufrieden. Allein, mit sich
selbst war er nur in dienstlicher Hinsicht zufrieden. Privat war es eher
umgekehrt.
Seit Hellens Tod lief alles aus dem Ruder. Seine
Wohnung verdreckte von Tag zu Tag mehr. Inzwischen war es mit sporadischem
Putzen nicht mehr getan. Eine intensive Grundreinigung war von Nöten. Die
Rollläden ließ er geschlossen oder kurbelte sie nur halb hoch. In diesem
ständigen Halbdunkel waren dann der Staub und der Schmutz nicht gar so
augenfällig. Der Dreck ließ sich so etwas leichter kaschieren. Auch nagte dann
sein ständig schlechtes Gewissen etwas weniger stark an seinem schon etwas
lädierten Seelenheil. Sein Freund Jörg, der Zahnarzt, gab ihm schon mehrmals
durch die Blume zu verstehen, dass er etwas für sein Sexualleben tun müsse.
Ginge er wieder auf Freiers Füßen, würde er auch verständlicherweise mehr Wert
auf sein Äußeres legen, prognostizierte er ihm eines Abends während einer
Schachpartie. Weniger knallhart hätte man ihm kaum sagen können, dass er einen
ungepflegten Eindruck machte. Aber gute Freunde waren eben auch zu solchen
unangenehmen Wahrheiten verpflichtet, wenn Freundschaft nicht nur ein
Lippenbekenntnis war.
„Kümmre dich doch mal um Rebecca, ich glaube,
sie mag dich. Es ist die Art, wie sie von dir spricht, wie sie nach dir fragt,
die mich so etwas glauben lässt“, war die genaue Formulierung seines Freundes
Jörg vor langer Zeit. Damals rührte ihn das nicht. Er war noch in Trauer um
Hellen. Mittlerweile hatte sich die Trauer geändert. Sie war nicht mehr so
schmerzhaft.
Seine Gedanken schweiften immer weiter ab. Der
Hinweis seines Freundes auf Rebecca, auf sein Sexualleben nahm ihn immer mehr
gefangen. Hallers Vortrag hörte er nur noch flüchtig, wie aus weiter Ferne.
Langsam aber immer deutlicher erschien ihm
Rebecca als Trugbild oder
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