Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
Seine Brillengläser hätten schon vor Jahren
durch stärkere, mit höheren Dioptrienwerten, ersetzt werden müssen. Eine neue
Brille mit stärkeren Gläsern konnte er sich noch nicht leisten. Bald aber würde
er genug Geld haben und auch seiner Frau ein üppiges Geschenk aus dem Westen
mitbringen können. Er hatte sich vorgenommen, das ausgezahlte Geld wieder
einzukassieren.
Gelegentlich, nein, möglichst bald wollte er das
Sonnenstudio oder den Hausflur auf eine eventuelle Verbindung überprüfen.
Es war ein überaus leichtes Spiel gewesen, an
Hand einer Telefonnummer diese Anschrift des Versagers ermitteln zu lassen.
Seine Freunde aus alter Zeit benötigten für diese Recherche nur einen halben
Vormittag.
Wenn er die Veröffentlichungen der Printmedien,
auch der überörtlichen, richtig interpretierte, tat sich für ihn ein nicht
unerhebliches Sicherheitsrisiko auf, das zu beseitigen er sich vorgenommen
hatte. Nur deshalb schlug er sich nun hier in Kiel die Tage und Nächte um die
Ohren.
Ein gewaltiges Rauschen im bundesdeutschen
Blätterwald hatte eingesetzt. Doppelmord im Klosterforst zu Kiel. Ist
Staatssekretär Dr. Dr. Beyer einem gewöhnlichen Mord zum Opfer gefallen, war er
Opfer seiner homosexuellen Neigungen oder ist er gar ein Bauernopfer eines sich
anbahnenden Finanz- und Bestechungsskandals größeren Ausmaßes?, war Land auf
Land ab zu lesen. Die Spekulationen schossen von Tag zu Tag mehr ins Kraut. In
medialer Eintracht hetzte die gesamte Boulevardpresse und gierte unisono nach
einem politischen Komplott, nach einer Verschwörungstheorie. In einer Kolumne
einer bundesweit erscheinenden Zeitung stellte der Redakteur die ketzerische
Frage, welcher Geheimdienst die Fäden diesmal wieder gezogen haben könnte. Die
Tagesschau und andere Nachrichtensendungen berichteten mit Kommentaren
ausführlich. Selbst die naivsten Provinzjournalisten schickten sich an,
zwischen der Ermordung des Staatssekretärs und der des erschossenen
Kriminalbeamten einen Tatzusammenhang zu sehen.
Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sich
das Bundeskriminalamt, der Staatsschutz, der Bundesnachrichtendienst aus
Pullach oder die drei Ämter gemeinsam einschalten würden. Dann waren die
Provinzbullen in Kiel aus dem Spiel, dann konnte es gefährlich werden, dann war
die Krise perfekt.
Ein Phlegmatikus war Schukow nicht. Tatenlos zuzusehen,
wie die Krise sich zu einem Risiko auswuchs, konnte er nicht zulassen. Nein,
Passivität war nicht sein Stil. Schnellstens und vorausschauend zu handeln war
das Gebot der Stunde. Anders ließen sich Risiken nicht managen. Er war fest
entschlossen, einen finalen Schlussstrich zu ziehen. Das war alle Male besser,
als auf einen guten Ausgang zu hoffen. Einen Spagat zwischen Hoffnung und
Risiko wollte und konnte er sich nicht antun. Auf eine solche Balance hat er
sich noch nie verlassen. Das wäre ein Husarenritt, ein Vabanquespiel. Nein,
Risiken, das war er seinem Leitspruch schuldig, mussten minimiert, besser
annulliert werden. Nur dann ließe sich das Gleichgewicht zu Gunsten seiner
eignen Sicherheit signifikant verschieben. Er war nicht der Mann, der die
Folgen seines Handelns dem Zufall überließ. Er war eben kein Fatalist. Eine
radikale, möglichst baldige Nachsorge tat jetzt mehr denn je Not. Nur dann war
auf ein akzeptables Ende des gesamten Unternehmens zu hoffen. Schukow wusste,
je höher das Ziel, desto höher waren die Schwierigkeiten in denen sich die
Risiken oft potenzierten. Aber diesen Tölpel über die Klinge springen zu
lassen, würde keine Probleme machen. Gedanklich kramte er in seinem ausgiebigen
Erfahrungsschatz nach Analogien gleichgelagerter Fälle. Im Altbewährten fand er
keine Lösung. Etwas Neues musste her, etwas rundweg Neues. Allmählich fühlte er
Müdigkeit in sich hochsteigen und musste sich eingestehen, dass es keinen Zweck
hatte, sich den Kopf zu zermartern. Er wusste, seine besten Ideen stellten sich
spontan ein, kamen wie ein Blitz aus dem Nichts. Schukow begann herzhaft zu
gähnen. Alle Glieder reckte er weit von sich, um sich zu entspannen. Plötzlich
hielt er inne. Es drängte etwas in ihm hoch.
Genau, das war’s. Das Froschtoxin des kleinen an
der kolumbianischen Pazifikküste lebenden Phyllobates terribilis war das
Lähmungsgift, das ihm sein reichhaltiges Repertoire spontan ins Bewusstsein
spülte. Die Choco-Indianer nutzten dieses Froschgift seit ewigen Zeiten an den
Spitzen ihrer Blasrohrpfeile. Sowjetischen Wissenschaftlern ist es Mitte
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