Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
die
Haustür des Vierfamilienhauses auf, in der sie in wenigen Sekunden verschwinden
würde. Langsam ließ Hanson den Wagen ausrollen und schaltete die Scheinwerfer
aus.
Mehr zärtlich als freundschaftlich beugte sich
Rebecca langsam zu Hanson, küsste ihn auf die rechte Wange, bedankte sich für
die Heimfahrt und hauchte warmherzig: „Bis zum nächsten Mal“.
Hanson sah die Welt plötzlich wie durch einen
Weichzeichner, spürte wieder diese verdammte Trockenheit in seinem Rachen und
fühlte, dass er errötete.
Er war völlig perplex, unfähig, etwas Gescheites
zu erwidern. Rebecca war ausgestiegen und gab elegant der Autotür einen
Schwung. Wie in Zeitlupe schloss sich für Hanson die Tür. Viele Fragen bohrten
sich in seinen Kopf. Was, wenn er ihr langsames Zu-sich-Rüberneigen besser
genutzt hätte, hätte sie sich umarmen lassen, wäre aus dem Wangenkuss ein Mundkuss
geworden, hätte er ihr sein Antlitz zugewandt? Wie war „bis zum nächsten Mal“
gemeint? Meinte sie die nächste Zahnbehandlung oder gar eine neue private
Verabredung? Laut plauzte die Autotür zu. Leichtfüßig ging sie um das Auto zur
gegenüberliegenden Straßenseite. Ihre linke Hand glitt dabei anmutig über den
linken vorderen Kotflügel. So als streichle sie stellvertretend für ihn diese
alte Rostlaube. Gleichsam en passant und mit einem vielsagenden Blick, lächelte
sie ihn an und rief ihm über die Schulter zu: „Sie haben bei mir einen Kaffee
gut“.
Noch gefangen von ihrer Aura blieb Hanson
regungslos im Auto sitzen und suchte verzweifelt nach plausiblen Antworten für
ihr Verhalten zu finden. Wie waren ihre Avancen zu deuten? Konnte er sich auf
neue Glücksaussichten freuen oder wollte sie nur ein bisschen gurren? War der
Wangenkuss ein übliches und völlig belangloses Danke schön? In der heutigen
Bussi-Bussi-Schickeria umarmte und küsste man sich ja bei jeder passenden und
unpassenden Gelegenheit. Hanson hoffte auf ein Wiedersehen, aber Erwartungen,
die Rebecca jäh enttäuschen konnte, hatte er noch nicht.
Er sah ihr hinterher und lauschte ihren
Schritten. Dann war er wieder allein. Ja, allein schon, aber einsam fühlte er
sich nicht mehr. Welten lagen nun zwischen diesen beiden Adjektiven, zwischen
denen er noch gestern nicht zu differenzieren wusste.
Zögernd löste sich die Sperre in seinem Kopf
wieder auf, der Schleier vor seinem Gesichtfeld verschwand, seine analytischen
Fähigkeiten setzten wieder ein und sein scharfer Verstand kehrte zurück. Hanson
lehnte sich in seinem Sitz zurück. Die vergangene Situation gebar Hanson ein
Wohlgefühl. Ja, er fühlte sich wohl, viel wohler als gestern.
Kapitel 11
Kiel, Sonntag, 19.02 1995, 21.40 Uhr
Es ist schon erstaunlich, wie scheinheilig die
Natur sich manchmal zeigen konnte. Noch vor gut einer halben Woche ächzte
Norddeutschland unter einer gewaltigen, geschlossenen, ungewöhnlich dicken
Schneedecke. Jetzt war die weiße Pracht geschmolzen, hatte sich wie ein kurzer,
heftiger Spuk in ein Nichts aufgelöst. Grüne Rasenflächen waren wieder
freigelegt. Keine Spur mehr von den katastrophalen Schneestürmen, wenn man von
den durch Schneebruch geschädigten Bäumen in den Wäldern absah. Von Tag zu Tag stiegen
die Temperaturen stetig an. Nicht, dass man den Frühling schon fühlen konnte,
aber erahnbar war er schon. Aller Orten Sonnenschein, nichts als Sonnenschein
mit angenehmen Temperaturen. Empfindlich kalt war es nur noch nachts.
Zur Erstellung eines Bewegungsprofils hatte
Schukow sich entschlossen, eine Observation zu starten. Heute, in der dritten
Nacht, beobachtete er wieder mit der Geduld einer Raubkatze die
gegenüberliegende Häuserfront in der Hopfenstraße. Er saß in einem gemieteten
BMW mit abgedunkelten Fondscheiben. Schräg gegenüber, rechts neben dem
Sonnenstudio, diese Haustür hatte er immer in seinem Blick, wie eine Großkatze
ihr Jagdrevier. Sein ganzes Augenmerk richtete sich auf diesen Hauseingang. Zu
gerne hätte er gewusst, ob es eine Verbindung von dem Treppenhaus zu den
benachbarten Räumen des Studios gab.
Dieses Informationsdefizit auszugleichen war
anstrengend. Intensiv musste auch der Eingang des Sonnentempels überwacht
werden, wollte er nicht Gefahr laufen, seine Zielperson zu übersehen. Bis
ungefähr halb sieben war es ein ständiges Kommen und Gehen, fast ausschließlich
Frauen, die etwas für ihr Aussehen taten und sich brutzeln ließen.
Das schwindende Tageslicht bereitete ihm immer
größere Probleme. Es war ermüdend.
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