Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
niemals über sich gebracht. Nicht bei einem
    »einer eigenen Zeugen.«
    »Niemand weiß, was ein Mensch tut, wenn er außer Kon-
    trolle gerät«, erklärte Gaffney bedauernd und zugleich so überheblich, als verkünde er eine Erkenntnis, zu der er selbst schon vor Jahren gelangt war. »Auch ich hielt Dreyfus immer für sehr gefestigt. Aber die jüngsten Ereignisse haben Ihm offenbar den Rest gegeben.«
    »Aber ein Mord ... bei Sandra Voi, Sheridan. Das ergibt doch keinen Sinn.«
    »Vielleicht wusste die Zeugin mehr, als sie zugab«, überlegte Gaffney. »Wer von uns kann schon genau sagen, was in diesem Felsen vorgefallen war. Womöglich wusste sie
    Dinge, die Dreyfus' gutem Ruf geschadet hätten.«
    »Warum in Sandra Vois Namen hätte er sie dann zurück-
    gebracht?«
    »Aus dienstlichen Gründen, nehme ich an. Vielleicht
    konnte er nicht anders, weil Sparver dabei war?«
    »Und Sie meinen, er hätte immer die Absicht gehabt, sie zu töten?«
    »Sehen Sie sich die Indizien an.« Gaffney zuckte bescheiden die Achseln. »Sprechen die nicht für sich?«

    Clepsydra war durch einen Kopfschuss gestorben. Zu-
    mindest so viel war ebenso auf den ersten Blick zu erkennen wie der Eintrittspunkt des ballistischen Projektils, das ihrem Leben aller Wahrscheinlichkeit nach ein Ende gesetzt hatte.
    »Eine Projektilwaffe, keine Strahlenwaffe«, stellte Gaffney fest. »Um die Eintrittswunde sind keine Brand- oder Kauterisierungsspuren zu sehen.«
    »Und wo soll sie getötet worden sein?«
    Gaffney sah sie skeptisch an. »Falls er sie hier drin erschossen hat, wurden alle Blutspuren und Gewebeteile, die über die Wand verspritzt waren, längst von der Aktivmaterie aufgesaugt und verarbeitet. Inzwischen ist sicher nichts mehr übrig. Wenn der Tod schon vor einigen Stunden ein-trat, wurden die absorbierten Überreste inzwischen in ihre Bestandteile zerlegt, wiederaufbereitet und über ganz Panoplia verteilt.« Er legte einen Finger an die Lippen. »Haben Sie kürzlich etwas gegessen?«
    »Nein«, sagte Baudry verwundert. »Was hat das damit zu
    tun?«
    »Vielleicht sollten Sie die Speiseautomaten in nächster Zeit meiden. Natürlich nur, wenn Sie nicht unbedingt Appetit auf umgewandelte Synthetikermaterie haben. Wenn
    Sie das nicht stört, hauen Sie ruhig rein.«
    Baudry wurde blass. »Das kann nicht Ihr Ernst sein.«
    »So funktioniert das Recyclingsystem. Es ist nicht da-
    rauf programmiert, zwischen menschlichen Überresten und normalen Hausabfällen zu unterscheiden. Morde im Innern von Panoplia sind nicht vorgesehen.«
    Baudry blickte auf die noch verbliebenen Leichenteile
    hinab. »Warum wurde sie nicht vollständig absorbiert?«
    »Vermutlich eine Verdauungsstörung. Die Aktivmaterie
    hat eine begrenzte Durchlaufrate; wenn sie zu viel auf einmal aufnehmen muss, kommt es zu Verstopfungen.« Er ver-
    zog angewidert das Gesicht. »Das war eindeutig zu viel.«

    Clepsydras Leichnam war zur Hälfte vom Boden aufge-
    nommen worden, bevor die Aktivmaterie blockiert und aufgehört hatte, ihn weiter zu verarbeiten. Er sah aus wie eine unvollendete Skulptur: ein Frauenkörper, der erst zur Hälfte aus glatt schwarzem Marmor herausgehauen worden war.
    Der Kopf mit dem Mähnenkamm, der Brustkorb, die Schul-
    tern und die Oberarme lagen frei. Unterarme, Bauch und
    Hüften schienen im Boden versunken zu sein. Vier Finger Ihrer rechten Hand durchstießen, im Tode erstarrt, wie steinerne Wächter die Absorptionsfläche, das linke Bein ragte bis zum Knie heraus und tauchte unterhalb davon wieder
    ein.
    »Ist das ... alles, was noch übrig ist?«, fragte Baudry.
    »Ich fürchte, ja. Die Fantasie beharrt zwar darauf, unter dem Boden müsse sich, ähnlich wie bei einer Leiche im
    Treibsand, ein intakter Körper befinden, aber in Wirklichkeit ist da nichts. Die sichtbaren Teile sind losgelöst.« Gaffney stieß mit der Stiefelspitze gegen den Bogen, der von Clepsydras Bein gebildet wurde, und warf ihn um. Baudry riss den Kopf zur Seite, ließ aber dann den Blick zurück-wandern. Wo das Bein den Boden berührt hatte, waren zwei kreisrunde Vertiefungen zurückgeblieben. An der Gliedmaße selbst hingen zähe Fasern aus teilweise verdautem
    organischem Material.
    »Das hat sie nicht verdient«, sagte Baudry. »Wenn die
    anderen Synthetiker erfahren, dass sie in Gefangenschaft ums Leben kam, können wir uns auf etwas gefasst machen.«
    »Nicht wir haben sie getötet«, sagte Gaffney freundlich.
    »Der Mord geht auf Dreyfus' Konto.«
    »Ich verstehe

Weitere Kostenlose Bücher