Aurora
freien Blick bewahren. Hatten
Sie oder Ihre Familie Feinde?«
»Das müssten Sie jemand anderen fragen.«
»Ich frage aber Sie. Was ist mit Anthony Theobald? Hatte er mit jemandem die Klingen gekreuzt?«
»Anthony Theobald hatte Freunde und Gegner wie jeder
andere auch. Aber ausgesprochene Feinde? Davon war mir
nichts bekannt.«
»Hat er das Habitat oft verlassen?«
»Hin und wieder, um einen anderen Staat zu besuchen
oder nach Chasm City hinunterzufliegen. Aber diese Reisen waren in keiner Weise geheimnisvoll.«
»Wie war es mit Besuchern - gab es davon viele?«
»Wir blieben meistens für uns.«
»Also keine Besucher.«
»Das habe ich nicht gesagt. Ja, natürlich kamen manch-
mal Leute vorbei. Wir waren keine Einsiedler. Anthony
Theobald hatte die üblichen Gäste, zu mir kam gelegentlich ein Kritiker oder ein anderer Künstler.«
»Und von denen hatte keiner den dringenden Wunsch,
Sie tot zu sehen?«
»Was mich angeht, nein.«
»Und Anthony Theobald - was hatte er für Gäste?«
Da war es: ein winziges Zögern. »Nichts Ungewöhnliches, Präfekt.«
Dreyfus nickte. Sollte sie ruhig denken, er würde es
dabei belassen. Er wusste, dass er auf etwas gestoßen war, auch wenn es vielleicht nicht viel zu bedeuten hatte, aber er wusste aus jahrelanger Erfahrung auch, dass es nicht sinnvoll wäre, weiter nachzubohren. Delphine war sicher hin- und hergerissen zwischen der Loyalität zu ihrem Vater Anthony Theobald und dem Wunsch, der Gerechtigkeit
zum Sieg zu verhelfen, und wenn er sie jetzt zu sehr be-drängte, bekam er womöglich gar nichts mehr aus ihr heraus.
Er musste sich erst ihr Vertrauen verdienen.
»Wissen Sie«, fuhr sie fort. »Ich war nicht sonderlich interessiert an Familien- oder Glitzerband-Politik. Ich hatte -
habe - meine Kunst. Das war alles, was mir wichtig war.«
»Dann lassen Sie uns über Ihre Kunst sprechen. Könnte
es sein, dass jemand auf Ihren Erfolg eifersüchtig war?«
Sie sah ihn verdutzt an. »Eifersüchtig genug, um neun-
hundertsechzig Menschen zu töten?«
»Motiv und Tat stehen nicht immer in einem ausgewoge-
nen Verhältnis zueinander.«
»Ich wüsste niemanden. Wenn ich in der Stoner-Gesellschaft Stadtgespräch gewesen wäre, hätten wir uns nicht mit einem zweitklassigen Händler wie Dravidian abgegeben.«
Dreyfus biss sich auf die Zunge und achtete darauf,
sein ausdrucksloses Pokergesicht beizubehalten. »Trotzdem wollte jemand Sie alle tot sehen, und ich werde erst wieder ruhig schlafen, wenn ich den Grund dafür kenne.«
»Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen.«
»Das können Sie immer noch. Erzählen Sie mir, wann
dieser Anruf einging.«
»Während Dravidians Besuch.«
»Wenn es noch genauer ginge, wäre das eine Hilfe.«
Die Beta-Kopie schloss kurz die Augen. »Der Anruf kam
um vierzehn Uhr, dreiundzwanzig Minuten und einund-
fünfzig Sekunden Yellowstone-Zeit.«
»Danke«, sagte Dreyfus. »Realisierung anhal...«, begann er.
»Sind wir fertig?«, unterbrach ihn Delphine, bevor er den Befehl ganz ausgesprochen hatte.
»Für heute ja. Wenn ich noch etwas von Ihnen wissen
möchte, werden Sie es als Erste erfahren.«
»Und jetzt sperren Sie mich in die Kiste zurück?«
»Das hatte ich vor.«
»Ich dachte, Sie wollten über Kunst sprechen.«
»Das haben wir doch getan.«
»Nein, wir haben uns nur darüber unterhalten, ob meine
Kunst ein motivierender Faktor für ein Verbrechen sein
könnte. Mit der Kunst selbst haben wir uns nicht beschäftigt.«
Dreyfus zuckte lässig die Achseln. »Wenn Sie es für wichtig halten, können wir das tun.«
»Finden Sie nicht?«
»Ich halte die Kunst nur am Rande für bedeutsam, es sei denn, Sie sähen das anders. Aber Sie haben selbst daran gezweifelt, dass Eifersucht ein Tatmotiv sein könnte.« Dreyfus hielt inne und überlegte. »Davon abgesehen waren Sie dabei, sich einen Namen zu machen, nicht wahr?«
Delphine warf ihm einen gekränkten Blick zu. »Das hört
sich ganz so an, als wäre die Geschichte meines Lebens bereits bis zur letzten Fußnote geschrieben.«
»Aus meiner Sicht ...« Dreyfus fiel wieder ein, was ihm Vernon über Delphines Ansichten zum Status von Beta-Kopien erzählt hatte.
»Was?«, fragte Delphine.
»Jetzt ist doch alles anders. Meinen Sie nicht?«
»Anders. Nicht zwangsläufig schlechter. Sie glauben wohl immer noch nicht an mich?«
»Ich gebe mir große Mühe«, antwortete Dreyfus.
»Bei unserem letzten Gespräch hatte ich Ihnen eine Frage
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