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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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gestellt.«
    »Tatsächlich?«
    »Ich hatte gefragt, ob Sie jemals einen geliebten Men-
    schen verloren hätten.«
    »Ich habe Ihnen geantwortet.«
    »Sie sind mir ausgewichen.« Sie musterte ihn lange mit
    forschendem Blick. »Jemand ist Ihnen gestorben, nicht wahr?
    Nicht nur ein Kollege oder ein Freund. Jemand, der Ihnen sehr nahestand.«

    »Wer hätte noch nie jemanden verloren?«
    »Wer war es, Präfekt Dreyfus? Wen haben Sie verloren?«
    »Sagen Sie mir, warum Sie an der Lascaille-Serie gearbeitet haben. Was kümmerte Sie das Schicksal eines Men-
    schen, dem Sie nie begegnet waren?«
    »Das sind sehr persönliche Fragen für einen Künstler.«
    »Ich wüsste nur gerne, ob Sie sich mit der Wahl dieses
    Themas Feinde gemacht hatten.«
    »Und ich wüsste gerne, warum es Ihnen so schwerfällt,
    mich als lebendes Bewusstsein anzuerkennen. Als diese
    Person starb - ist da etwas geschehen, was diese Abnei-
    gung gegen Beta-Kopien ausgelöst hat?« Ihre meergrünen
    Augen blitzten herausfordernd, als wollten sie ihn verleiten, den Blick abzuwenden. »Wer war es, Präfekt? Quid pro quo. Sie beantworten meine Frage, und ich beantworte die Ihre.«
    »Ich habe eine Aufgabe zu erledigen, Delphine. Aber
    dazu gehört nicht, mich in ein Computerprogramm einzu-
    fühlen.«
    »Ich bedauere, dass Sie so denken.«
    »Nein«, sagte Dreyfus, und in seinem Innern zersprang
    etwas. »Um etwas zu >bedauern<, müsste ein denkendes Bewusstsein vorhanden sein, Intelligenz, ein Wille, die Fähigkeit, die Emotion zu fühlen, die man >Bedauern< nennt. Sie verwenden das Wort nur, weil die lebende Delphine sich unter ähnlichen Umständen so ausgedrückt
    hätte. Aber das heißt nicht, dass Sie auch Bedauern empfinden.«
    »Sie sprechen mir tatsächlich ab, in irgendeinem Sinn des Wortes lebendig zu sein?«
    »Ich fürchte, ja.«
    Delphine nickte kühl. »Wenn das so ist: Wieso diskutie-
    ren Sie dann überhaupt mit mir?«
    Dreyfus wollte rasch antworten, aber ihm fiel nichts ein.
    Die Pause zog sich in die Länge. Delphine betrachtete ihn mit einer Mischung aus Belustigung und Mitleid. Er hielt die Realisierung an und starrte auf die Stelle, wo sie gestanden hatte.
    Nicht >sie<, korrigierte er sich selbst. >Es.<
    »Hallo?«, rief Thalia in den dunklen feuchten Raum hinein, wo jeder Laut widerhallte. »Ich bin Unterpräfekt im Außendienst Ng. Ist da jemand?«
    Niemand antwortete. Thalia blieb stehen, stellte den schweren Zylinder ab, den sie in der linken Hand trug, und tastete mit der Rechten nach dem Schaft ihrer Hundepeitsche.
    Dann schalt sie sich selbst für ihre Ängstlichkeit. Sie ließ die Waffe los, zog die Spezialbrille aus der Tasche, streifte sie über und drückte die Taste für die Bildverstärkung.
    Die Dunkelheit hellte sich auf, in einer Wand wurde eine Tür sichtbar. Thalia drückte abermals eine Taste, aber
    durch das entoptische Overlay änderte sich nichts. Auch wenn ein Bürger des Habitats mit einem Schädel von
    sinneserweiternden Implantaten an Thalias Stelle hier gestanden hätte, er hätte doch nur diese tristen Wände gesehen.
    »Dringe weiter in das Hab vor«, meldete Thalia ihrem
    Kutter. »Bislang ist der Empfang nicht gerade überwältigend.«
    Sie griff mit der Linken wieder nach dem Zylinder. Die
    Vorsicht siegte, diesmal aktivierte sie die Hundepeitsche.
    »Alarmbereitschaft Stufe Eins«, befahl sie und ließ sie los.
    Das rote Auge leuchtete auf, und die Peitsche nickte einmal mit dem Schaft, zum Zeichen, dass sie die Anweisung verstanden hatte und befolgen würde. Dann drehte sich der
    Schaft, die Schnur entrollte sich und glitt wie eine Zeichen-trick-Kobra mit der Spitze voraus über den Boden.
    Hinter der Tür befand sich ein feuchter Gang mit tiefen Rissen im Boden, der weiter vorne eine Kurve beschrieb.
    Die Hundepeitsche glitt weiter, das rote Licht des Scannerauges spiegelte sich in den glänzenden Oberflächen. Thalia folgte ihr. Hinter der Biegung weitete sich der Tunnel zu einer riesigen, schwach erleuchteten Halle. Der Boden stieg, der Krümmung des Habitats folgend, ständig leicht an, bis er irgendwo vor ihr in die ebenso gekrümmte Decke überging. Das einzige Licht kam von der Sonne, deren Strahlen, von einer dicken Kruste aus Staub und Schimmel sepia-braun gefärbt, zu beiden Seiten durch riesige Sprossenfenster fielen. Viele Terrassen mit jetzt verlassenen Geschäften, Boutiquen und Restaurants ragten, nur von den Fenstern
    unterbrochen, neben Thalia auf. Brücken und Stege spannten sich

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