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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Synthetiker-Schiffes. Er sah sich um und wagte nicht zu atmen, bis er sicher war, dass die Türplatte nicht vorhatte, ihn einzuschließen. Dann zwängte er sich durch einen gewundenen Schlund von
    einem Korridor bis zu einer Stelle, wo fünf Gänge aus
    verschiedenen Richtungen aufeinandertrafen. Durch einen davon sickerte Licht - ein bläulich grüner, eigentümlich kränklicher Schein. Die anderen waren einfach nur dunkel und abweisend. Sie schienen zum Heck des Schiffes zu führen.
    Er wählte den beleuchteten Gang und folgte ihm schät-
    zungsweise zwanzig bis dreißig Meter in Bugrichtung. Dann öffnete sich ein großer Raum. Das Licht, das von ferne
    so hell gewirkt hatte, war hier so schwach, dass er kaum Einzelheiten unterscheiden und Größenverhältnisse abschätzen konnte. Dreyfus löste die Verbindung zwischen
    Helm und Gürtel wieder auf und erkundete mit Hilfe
    der eingebauten Lampe seine Umgebung. Das Licht spielte über Stahlflächen, Glaswände und verschlungene Röhrensysteme.
    Und plötzlich wurde ihm ein kalter, scharfer Gegenstand gegen die nackte Kehle gepresst.
    »Es gibt eine Notbeleuchtung«, sagte eine ruhige Frauenstimme dicht an seinem Ohr. »Ich werde sie jetzt einschalten.«
    Dreyfus hielt sich ganz still. Am unteren Rand seines
    Blickfelds sah er die Knöchel einer behandschuhten Hand.
    Die Hand hielt ein Messer. Das Messer drückte gegen seinen Adamsapfel.
    Jetzt gingen die Lichter an und erstrahlten in kräftigem, leicht grünlichem Gelb. Dreyfus war zunächst geblendet
    und blinzelte, doch dann sah er einen Raum voller Schläfer, die an komplizierte Geräte angeschlossen waren. Es waren mindestens achtzig oder neunzig, vielleicht auch mehr, und sie waren in vier langen Reihen in regelmäßigen Abständen um einen Gittersteg gruppiert. Sie lagen nicht in geschlossenen Tanks, sondern waren mit schwarzen Haltegurten
    und silbernen Netzen auf Liegen geschnallt. Durch transparente Schläuche wurden Flüssigkeiten in die Körper hineinund auch wieder herausgepumpt, vermutlich Blut und Salz-lösung, dachte Dreyfus, aber auch Chemikalien in kräftigen Farben, deren Wirkung er nicht kannte. Die Schläfer waren alle nackt, und sie atmeten, aber so langsam, dass der Prä-
    fekt jede einzelne Brust genau beobachten musste, um sicher zu sein, das sie sich auch wirklich hob und senkte und er nicht vor einer Leiche stand. Ein Schlaf so tief, dass er dem Tod nicht unähnlich war. Die Köpfe waren nicht zu

    sehen, denn jeder Schläfer trug einen kugelrunden Helm, der um den Hals herum eng anlag. Vom höchsten Punkt
    führte ein dickes, geripptes schwarzes Kabel zu einer Anschlussbuchse in der benachbarten Wand. Dreyfus hatte
    den Eindruck, in einem Raum voll gesichtsloser mensch-
    licher Bauteile zu stehen, die an einer größeren Maschine hingen.
    Das Messer drückte immer noch gegen seine Kehle.
    »Wer sind Sie?«, fragte er leise, um den Kehlkopf mög-
    lichst nicht zu bewegen.
    »Wer sind Sie?«, fragte die Frau zurück.
    Er hatte keinen Grund, die Wahrheit zu verheimlichen.
    »Tom Dreyfus, Präfekt im Außendienst, von Panoplia.«
    »Überlegen Sie sich gut, was Sie tun, Präfekt. Dieses Messer ist sehr scharf. Wenn Sie mir nicht glauben, sehen Sie sich um.«
    »Was soll ich mir ansehen?«
    »Die Schläfer. Sehen Sie sich an, was ich mit ihnen ge-
    macht habe.«
    Er befolgte die Anweisung und verstand.
    Nicht alle Schläfer waren unversehrt.
    Der Wirrwarr aus Haltegurten, chirurgischen Schläuchen
    und Helmen hatte die grausige Wahrheit zunächst verbor-
    gen. Doch als Dreyfus sich mit den Schläfern und den Ge-räten zu ihrer Versorgung vertraut gemacht hatte, fiel ihm auf, dass viele der Körper unvollständig waren. Einigen fehlten Hände und Arme, anderen die Unterschenkel oder
    das ganze Bein. Etwa ein Drittel der Schläfer wies solche Verstümmelungen auf. Dreyfus dachte an die Kriege, an
    denen die Synthetiker teilgenommen hatten - vielleicht
    hatte das Schiff Verwundete geladen und war auf dem Weg zu einem Hospital oder einer entsprechenden Synthetiker-Einrichtung entführt worden.
    Aber das konnte nicht sein. Dieses Schiff lag wahrscheinlich schon jahrzehntelang hier, doch die Verletzungen wirkten ganz frisch. Die Wunden waren mit einer türkisgrünen Salbe bestrichen, aber darunter waren die Stümpfe noch
    roh. Die Schläfer hatten nicht einmal die medizinische Grund-versorgung erhalten, von Regenerationsverfahren, die für Synthetiker eigentlich selbstverständlich sein sollten, ganz

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