Aurum und Argentum (2) - Die magischen Avatare (German Edition)
Kentauren zur Hälfte Zweibeiner sind. Das machte sie unberechenbar. Halb Tier, halb logisches Wesen. Ich bin nur ein Raubtier, mir unterstellt man keinen bösen Willen – zumindest nicht mehr in diesen Zeiten. Ich jage Beute um zu leben, Kentauren jagen Frauen um sich zu vergnügen. Der Mythos vom jungfrauenverschleppenden Drachen ist weitgehend ausgestorben, doch die Kentauren haben ihr schlechtes Image nach wie vor.“ Nun war Leon noch niedergeschlagener. „Bevor du den Kopf in den Stand steckst, solltest du aber bedenken, dass dies nur Mythen sind. Du bist leibhaftig, deine Taten sprechen für dich. Kleopatra war auch zuerst abgeneigt, inzwischen bist du ihr treues Ross. Ich hoffe, dass auch Akiko eines Tages die Augen für die Wahrheit öffnen kann.“
„Die Wahrheit habe ich heute erlebt!“, schallte es zurück und die Amazone tauchte wieder auf. Drac’o und Kleopatra redeten pausenlos auf sie ein und Kratzefuß zischte unwirsch.
„Es tut mir leid und war keine Absicht.“
„Wer’s glaubt, wird selig!“
„Er hat sich entschuldigt, du solltest es auch tun“, riet Orion.
„Als Dame wird man sich ja wohl noch verteidigen dürfen!“
„Ach ja, Fräulein Schlauberger?“, Kleopatra ballte die Fäuste. „Sei froh, dass mein edles Ross dir die Backpfeife nicht zurückzahlt! Er ist ziemlich kräftig …“
„Ein wandelnder Misserfolg ist er und dumm wie Bohnenstroh!“
„Wie bitte?“, Flammen schlugen aus Draco’s Rachen, Leon machte beschwichtigende Gesten:
„Mein Bruder denkt für mich.“
Akiko kniff die Augen zusammen. „Morgana muss ein schrecklicher Irrtum bei der Zusammenstellung dieses Haufens unterlaufen sein. Ich lasse mir das nicht länger bieten! Ein elender Kentaur als Bruder eines Drachens und eine Fee, die sich mit einer Harpyie anfreundet – das ist widernatürlich!“, sie packte ihre Habe, schwang sich auf den Teppich und hob ab, nicht jedoch, ohne Leon nun auch noch in den Bauch zu boxen.
„Völlig übergeschnappt ist sie!“, keifte Kleopatra. „Keine Prinzessin lässt so etwas auf sich oder ihrem treuen Ross sitzen!“ Noch während sie sprach, verkleinerte sie sich und schwirrte als Lichtkügelchen los. Kratzefuß war zu diesem Zeitpunkt längst davon gespurtet.
„Gütiger Himmel“, Orion fasste sich an den Kopf. „Das ist wohl nicht unser Tag!“
„Kannst du aufstehen?“, hastig raffte Drac’o alles zusammen, nickend erhob sich Leon, doch als sie endlich aufbrechen konnten, waren die Mädchen schon lange nicht mehr zu sehen.
„Ich will doch nur mit dir reden!“, keuchte Kleopatra, doch entweder war sie zu weit weg, oder Akiko wollte sie nicht hören. „Ich glaube, ich habe doch zu viele Pralinen in meinem Leben gegessen“, sah sie es ein, brach die Verfolgung ab und trudelte hinab in den Schatten eines halb eingefallenen Gemäuers, das verwaist aus dem Wüstensand ragte. „Dann eben nicht! Wer nicht will, der hat schon! Wir brauchen sie sowieso nicht.“ Tief luftholend, ließ sich die verkleinerte Fee rückwärts fallen. Die Harpyie konnte sie nicht entdecken und kein Wind regte sich. „Prinzessinnen gehören nicht in die Wüste“, brummelte sie und spürte großen Durst, aber auch eine bleierne Erschöpfung.
Hechelnd eilte Kratzefuß über den Sand, das Ziel ihrer Wut hatte sie jedoch aus den Augen verloren. Schnuppernd hielt sie inne, dann jagte sie weiter, in Richtung eines Gemäuers. Sie kniff die Augen zusammen und konnte gerade noch erkennen, wie aus einer halb zugeschütteten Öffnung zwei große, dunkle Hände herauskamen und nach etwas Kleinem langten, das sich am Boden befand. Die Pranken legten sich darum und zogen sich anschließend wieder zurück. Das Etwas war verschwunden und Kratzefuß nur wenig irritiert, das änderte sich aber, als ihr ein bekannter Geruch in die Nase stieg. Sofort eilte sie zu dem Gebäude und schnupperte erneut. Es gab keinen Zweifel, Kleopatra war hier gewesen. Fiepend zog die Harpyie den Kopf ein, drehte sich im Kreis, ging vor und zurück, bis sie endlich eintrat.
„Wo sind sie?“, Orion blieb auf einer Düne stehen, es dauerte ein Weilchen, bis Leon mit dem Gepäck aufgeholt hatte. Drac’o flog erst über ihm und ließ sich dann neben Orion nieder: „Diese Art der Fortbewegung ist doch sehr anstrengend.“
„Kein Wunder“, diagnostizierte der Professor, „wenn du dich seit deiner Kleinkinderzeit nie in einen Drachen verwandelt hattest, dann konntest du deine Flügelmuskulatur auch nicht
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