Aus dem Leben eines Lohnschreibers
führt nur zu Nachfragen, zu Zetern und unwürdigen Diskussionen. Man sollte sich in einem solchen Fall zu fein sein für Kritik und Belehrung. Man begleicht kühl, fast freundlich die Rechnung und überläßt es dem Ober, ob er das vernichtende Urteil der Gäste ahnt, daß hier Hopfen und Malz verloren sind. Amüsiert, mit einer leisen boshaften Bemerkung, verläßt man mit der Dame den Ort der schlechten Bescherung. Diese Niederlage ist nicht nur schnell verschmerzt, sie schweißt auch zusammen. Wenn die ausgeführte Dame Format hat, wird sie nach dem Arm des Gentlemans tasten und sich einhängen. Eine kleine Geste der Versicherung: Keine Sorge, das nehme ich Ihnen nicht übel.
Boris Müller aus Bielefeld ist für diese chancenreiche Art der Annäherung zu konventionell. Mühsam haben wir ihm ausgeredet, die Damen seiner Wahl in irgendwelche gutbürgerliche Schloß- oder Jagdstuben zu führen, die für ihre üppigen Spätzleportionen und ihre gestärkten Saucen berühmt sind. Er hat es dann bei allen möglichen Chinesen und Indern, Thailändern, Japanern, Vietnamesen und Mexikanern probiert. Er hat den Mann gespielt, der sicher ist, der nicht lang zögert, der sich beraten läßt, kundige Zwischenfragen stellt, dann aus 798 indischen Gerichten Nummer 365 auswählt, der Dame Nummer 669 empfiehlt und sich nach dem Essen die erlesenen Schnäpse so verwegen und gleichsam russisch hinter die Binde gießt, wie man es von einem erwarten kann, der Boris heißt.
Als das nicht half, haben wir ihm geraten, es umgekehrt mit der Rolle des liebenswert Ahnungslosen zu versuchen, dem Essen nicht so wichtig ist und dem es dennoch nichts ausmacht, für die Herzdame in einem Sternelokal einen Tausender lockerzumachen. Der sich beim Hummerauspulen helfen läßt. Er hat gezahlt, die Zähne zusammengebissen und keine alberne Rechnung verlangt. Nichts. Es funkte nicht.
Boris war besessen davon, eine Frau zu erobern, aber keine der Frauen liebte er wohl wirklich. Vermutlich klappte es deshalb lange nicht. Wenn man wirklich liebt, sind Restaurant und Essen einerlei. Schließlich half unser letztes Mittel. Wir verbanden ihm vor seiner Verabredung mit einer Frau namens Martina beim Italiener den rechten Arm und hängten ihn in eine malerische Seidentuchschlinge. »Angebrochen«, sagte er. »Sie Ärmster!« Martinas Mitgefühl war echt. Obwohl er schlecht spielte, glaubte sie ihm. »Aber kein Grund, dieses Treffen abzusagen«, sagte Boris und bestellte gegrillte Riesengarnelen. Martina auch. Sie half ihm beim Schälen. Er ließ sich gerne helfen. Sie hatte geschickte Hände. »Nett, aber Ihre Viecher werden kalt«, sagte Boris dann zu Martina, griff mit der Linken eine Garnele am Schwanz, biß ihr den Kopf ab, spuckte ihn aus und zerkaute den Rumpf genüßlich mit der krossen Schale, schluckte alles herunter. »Ballaststoffe braucht der Mensch«, sagte er vergnügt.
Ballaststoffe? Das ließ sich Martina nicht zweimal sagen. Sie ließ das Auspulen sein und verspeiste die Garnelen nun auch mit der Schale. Als sie fertig war, war ihre Papierserviette nur noch ein Knäuel. »Darf ich«, fragte Boris, nahm Martinas Hand und schleckte ihre Finger ab.
»So habe ich mir immer einen leidenschaftlichen Russen vorgestellt«, sagte Martina und war zu allem bereit.
Ich schickte meine Geschichte in die Redaktion mit der Bitte um Echo. Denn nicht alle Redakteure sind so höflich, gleich nach dem Eintreffen des Textes ihre Begeisterung mitzuteilen oder wenigstens zu heucheln. Ähnlich wie in der Liebe ist die Unsitte verbreitet, befriedigt zu verstummen, wenn man das seine bekommen hat. Ähnlich wie in der Liebe will aber derjenige, der sich abgerackert hat, wissen, wie er war - auch wenn er weiß, daß sein Wunsch albern ist.
Da die erbetene Antwort nicht kam, wußte ich, daß etwas nicht stimmen konnte. Die Redakteurin würde demnächst anrufen und herumdrucksen, und ich würde sagen: »Zahlen Sie 2000 Ausfall, und die Sache ist erledigt.« Ich liebe Ausfallhonorare. Ich hatte einmal ein boshaftes Jahr, in dem ich fast ausschließlich von Ausfallhonoraren lebte. Man wollte ständig etwas Giftiges von mir haben: über den Adel und das Militär und die Weinfeinschmecker und die Kirche, mutigerweise sogar etwas über den Islam, und schließlich etwas ganz Gemeines über die political correctness - und ich schrieb, so giftig es ging. »Wir haben es gern gelesen«, sagten die Chefredakteure, »aber unseren Lesern können wir das nicht zumuten -
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