Aus dem Leben eines Lohnschreibers
Regel dem Ziel nur ein Stück näher bringen. Immerhin.
Ich haßte mich. Ich haßte diese Sätze. Es war mir zu dumm, meinen Text im Computer zu suchen und mit dem in der Zeitschrift zu vergleichen. Zu philologisch war mir das. Ich habe früher lang genug Philologie studiert. Ich habe das sinnlose Studium mit einem sinnlosen Dr. phil. abgeschlossen. Ich wollte nie wieder philologisch herumpuzzeln. Die Schmerzen, die mir jeder dieser Sätze verursachte, waren mit 6000 Mark nicht abgegolten. Die tolle Frau, die sich von, durch oder gar gleich nach einem Essen verführen ließe, wäre so toll nicht. Allein für diese 19 dummen Worte müßte es ein höheres Schmerzensgeld geben. Ich hätte meinen Namen zurückziehen sollen.
Ich mußte an einen Schreibärger denken, den ich viele Jahre zuvor mit einer Modezeitschrift gehabt hatte. Die »Vogue« muß es gewesen sein, und 1982 müßte es sich zugetragen haben. Damals hatte man mich gebeten, einen Artikel zu schreiben, in dem »Die neue deutsche Frau« ausgerufen und abgefeiert werden sollte. Das »Fräuleinwunder« sei ja nun längst passé, es sei Zeit für einen neuen Trend, und welche Zeitschrift, wenn nicht die »Vogue«, müsse den als erste erkennen. Ich sei dazu auserkoren, mit der mir eigenen eleganten Schreibe und meinem liebevollen Blick auf schöne Frauen, den Leserinnen der »Vogue« dieses Geschöpf vorzustellen. Da ich keine Ahnung hatte, was man sich unter der neuen deutschen Frau vorzustellen habe, erfand ich einen argentinischen Herrn, den ich Señor Martin nannte. Señor Martin eilt aufgeregt von Buenos Aires nach Deutschland, weil er hier »die neue deutsche Frau« zu finden hofft, von der er, im Wartezimmer eines Urologen in einer Modezeitschrift blätternd, gelesen hatte. Natürlich findet er sie nicht, weder in München noch in Hamburg, Berlin oder Düsseldorf. Wie auch, es war ja nur die Phantasie einer Modezeitschriftenredaktion. Er verliebt sich aber in eine schmuddelige Studentin, die sich abfällig über kapitalistische Edelmodezeitungen äußert und die ihn, so ist zu hoffen, von einem hirnlosen Trendgläubigen zu einem kritischen Kopf erziehen wird, und zieht mit ihr glücklich nach Lateinamerika zurück. Die damalige »Vogue«-Redaktion war etwas irritiert: Die neue deutsche Frau käme ja nur in der Phantasie dieses Herrn vor. Es gibt sie auch nur in der Phantasie, sagte ich, in eurer Redaktionsphantasie! Dann strich die Redaktion die Rahmenerzählung und ließ nur die Phantasievorstellung des Señor Martin übrig. Man zeigte mir den verstümmelten Text, ehe er gedruckt wurde. »Das ist nicht mehr mein Artikel«, sagte ich. Die ganze Ironie war beim Teufel. Der Artikel war wie von einer männlichen Gans geschrieben, also einem Ganter. Er solle unter dem Pseudonym Johannes von Ganter erscheinen, sagte ich. Vermutlich wußte niemand in der piekfeinen »Vogue«-Redaktion, was ein Ganter ist. »Johannes von Ganter ist der neuen deutschen Frau auf der Spur«, titelte damals allen Ernstes die Zeitschrift. Dazu der winzige Textstummel von mir und dann eine seitenlange Fotostrecke mit den üblichen staksigen Bulimikerinnen.
Jetzt in der Freßzeitschrift war ich leider als Autor eindeutig erkennbar. Zum Glück ging der Text nach den fürchterlichen ersten Absätzen etwas erträglicher weiter:
Was sonst soll der teuflische Versucher anderes vorschlagen, als Essen zu gehen. Kaffeetrinkengehen ist zu wenig. Geht zu schnell. Kinogehen kommt nicht in Frage. Nur wenn man sich nichts zu sagen hat. Obwohl ihre Hand in der Popcorntüte auch schon ein Erfolg ist. Zufällig eine zweite Theater- oder Opernkarte übrig haben ist durchsichtig und viel zu bildungsbürgerlich. Selbst in der Pause kommt nichts zustande. Er muß für Eis mit heißen Himbeeren ewig anstehen, während sie sich auf der Toilette die Lippen nachzieht. Wenn das Eis erstanden ist, schrillt die Pausenbeendigungsglocke und erinnert einen ungut an die Schulzeit. Spätestens hier sollte man den Kulturtempel verlassen und ein Lokal ansteuern, um sich beim Futtern und beim gemeinsamen Schimpfen auf den Regisseur endlich näherzukommen.
Langsam fing ich an, mich in meinem eigenen Text festzulesen, wie so ein Koch, der sich schmatzend mit seinem eigenen mißratenen Populär-Gericht anzufreunden beginnt:
Die Wunschfrau zum Essen nach Hause einzuladen empfiehlt sich übrigens nur für verheiratete Männer. In dem Fall weiß die Wunschfrau nicht recht, was die Einladung zu bedeuten
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