Aus dem Leben eines Lohnschreibers
erzählen: Die russischen Geschäftsfreunde hätten Schwierigkeiten mit dem Namen Ortwin gehabt und Boris gesagt. Daran habe er sich gewöhnt. Der Name sei ihm lieb geworden. Ab sofort sei er Boris. Boris aus Bielefeld.
Seitdem er Boris heißt, verkauft er noch mehr Neu- und Gebrauchtwagen. Klingt feuriger. Eine Frau hat ihm der rasantere Vorname nicht gleich beschert. Boris weiß, daß es so einfach nicht ist. Ich kann keine Garantien geben. Boris hat dafür Verständnis. Er ist Geschäftsmann und Realist. Ich habe ihm ein Beispiel aus seiner Autowelt gegeben: So wie Airbag und Antiblockiersystem in den Neuwagen dazu da sind, das Risiko bei Unfällen oder brenzligen Situationen zu vermindern, so ist Lifelifting dazu da, die Fehler der ratsuchenden Kunden zu reduzieren. Dadurch wachsen ihre Chancen. Mehr können wir nicht tun.
Boris macht vieles falsch. Ehe er zu uns kam, war es noch schlimmer. Immer wieder hatte er Frauen zum Essen eingeladen und sich vergeblich angestrengt, sie zu gewinnen. Schon bei der Wahl des Restaurants hatte er keine glückliche Hand. Es verschlug ihn in Lokale, die entweder so laut waren, daß man ungut brüllen - oder so leise, daß man flüstern mußte. Flüsternd kann man keine Frau gewinnen. Es wirkt beschwörend und unangemessen intim.
Langsam kannte Boris alle Lokale in Bielefeld und Umgebung und war ein bekannter Gast. »Guten Abend, Herr Müller«, sagten Köche und Ober, wenn er das Restaurant betrat, aber auch diese Bekanntheit nützte ihm nichts, sondern schadete eher. Der Mißerfolg hatte ihn verkrampft gemacht, und die Frauen hatten nun das Gefühl, in eine Falle gelockt zu werden. Als würde sich das Personal mit Boris zu einer Eroberung verbünden. Der unempfindliche Boris, damals noch Ortwin, spürte nicht den schwelenden Verdacht und ließ sich von den Ober abgelegene Plätze zuweisen. Er wußte nicht, daß Nischenplätze etwas Möchtegernseparéehaftes, also etwas leicht Schleimiges an sich haben können. Besser ein ungemütlicher Platz in der Mitte des Lokals, der lebendig und unverfänglich ist.
Nachdem wir ihm den Namen Boris verpaßt hatten, arbeiteten wir ein Programm für ihn aus: Wie gewinne ich eine Frau beim Essen in einem Restaurant. Weil Boris im Grund ein einfacher und bescheidener Mensch ist, neigt er in besseren Lokalen zu gestelzten Reden. Meine Mitarbeiterinnen sind dabei, ihm das abzugewöhnen. Unversehens entgleiten ihm noch immer furchtbare Worte. »Preisleistungsverhältnis« zum Beispiel. Er darf sich nicht wundern, wenn ihm die Frauen nicht ins Netz gehen. Wer will einen Mann, der beim ersten Treffen das Gespräch mit den Worten eröffnet, das Preisleistungsverhältnis sei in diesem Restaurant annehmbar. Die Autoverkaufssprache ist ihm nur schwer abzugewöhnen. Mühsam haben wir ihm ausreden müssen, sich nach dem Essen eine Rechnung für die Steuer geben zu lassen. Als wenn es bei seinem Einkommen auf die paar Mark ankäme. Keine Frau will bei den ersten Annäherungsversuchen als Steuerersparnis benutzt werden. Das entwertet.
Das Lieblingsgericht von Boris ist Linseneintopf. Wir haben ihm klargemacht, daß er natürlich mit einem simplen, vielleicht sogar faden Linsenessen in jeder Spelunke, mit einem Döner Kebab im Stehen eine anspruchsvolle Traumfrau durchaus erobern kann - wenn man die fehlende Raffinesse des Essens mit einer raffinierten Art und Weise des Werbens, mit wirklich unerhörten Worten und scharfem Witz lässig ausgleichen kann. »Ich glaube, das ist meine Sache nicht«, sagte Boris kleinlaut und einsichtig. Originalität ist nicht das, was ihn auszeichnet, und er weiß es.
Wir haben schon manchen partnersuchenden Kunden geraten, in teure und zuverlässig schlechte Restaurants zu gehen. Ein Geheimtip besonderer Art. Beim Einigwerden über den allzu fruchtigen Wein, die affige Speisekarte, die überwürzten Vorspeisen, die viel zu schmantige Sauce und die schwänzelnden Kellner kann man sich oft schneller nahekommen als beim genießerischen Schwelgen eines makellosen Menüs. Das gemeinsame Erkennen des Reinfalls und der Entschluß, sich nicht von Stümpern die Laune verderben zu lassen, zeigt mehr Souveränität als der geübte Umgang mit Hummerscheren, und kann den weiteren Verlauf des Abends temperamentvoller gestalten als wohliges Nachschwärmen einzelner Gänge und satte Zufriedenheit. Wir raten ab, sich im Fall eines solchen Reinfalls über das Essen zu beschweren oder auch nur beim Zahlen arrogant den Kopf zu schütteln. Das
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