Aus dem Leben eines Lohnschreibers
hat. Wird die Ehefrau mit dabeisein? Die Wunschfrau wird diese Frage nicht stellen. Das könnte so klingen, als vermute sie, daß dieser Mann darauf aus ist, sie zu erobern! Die Ehefrau wird natürlich verreist sein. Dadurch bekommt die Einladung etwas Unverfrorenes. Man ist in der Höhle der Löwin. Das geht eigentlich nicht. Das knistert. Das ist gut. Junggesellen aber sollten Wunschfrauen keinesfalls nach Hause zum Essen einladen. Bei ihnen wirkt es entweder schlüpfrig oder so, als ob der Verehrer Kochkunst und Häuslichkeit demonstrieren will. Der potentielle gute Ehemann. Womöglich mit Schürze. Ein James Stewart selig im Witwerlook. Das riecht nach Falle. Und törnt ab. Der Annäherungsversuch des Junggesellen in seinen eigenen vier Wänden ist auch keine moralische Kunst. Er ist billig und zu erwarten. Der Ehemann hingegen beweist wenigstens Kühnheit, wenn er die fremde Wunschfrau vor oder nach dem Essen zum Letzten auffordert und zur Zweckentfremdung des ehelichen Schlafzimmers bereit ist.
Das Restaurant ist in jedem Fall der unverfänglichere Ort, um sich näherzukommen und eine Verführung in die Wege zu leiten. Hier kann man auch würdewahrender als zu Hause oder im Kino notbremsen und sich zurückziehen, wenn das Verführungsvorhaben sich wider Erwarten als ein furchtbarer Irrtum herausstellen sollte.
Natürlich ist die Wahl des Lokals von allergrößter Bedeutung. Ein Spitzenfreßtempel verbessert die Chancen keinesfalls, macht die eingeladene Traum-, Wunsch- oder Trostfrau eher mißtrauisch. Wer will sich schon kaufen lassen. Ein luxuriöses Futter in einem Sterneschuppen zwingt den Mann andererseits, alles zu tun, um nicht als Großkotz dazustehen beziehungsweise dazusitzen. Wenn ihm das gelingt, wird sich ihre anfängliche Skepsis in Wohlwollen verwandeln. Der Verführer wird nun als großzügig und zugleich als unaffig erscheinen, eine nicht alltägliche Mischung, die einige Anziehungskraft ausübt.
Hat man einen Freßtempel zum Annäherungsversuch gewählt, ist ein selbstverständlicher, lässiger Auftritt besonders wichtig. Bloß nicht vor ihr den Eindruck erwecken, als schüchtere einen der gute Ruf des Hauses und die zu erwartende Rechnung jetzt schon ein. Man läßt sich keinen abgelegenen Platz zuweisen und bittet gegebenenfalls um einen Tisch mitten im Getümmel. In Nischen kann man später sitzen, wenn die Liebe brennt. Jetzt soll sie erst angefacht werden. Das geht im Offenen besser. Man ist keiner, der die Frauen in den Hinterhalt lockt. Man hat nichts zu verbergen. Wenn die Ober ständig vorbeisausen - um so besser. Bloß keine traute Atmosphäre. Das Leben drum herum muß pulsen. Schummrigkeit ist fehl am Platz. Ich würde die Kerzen ausblasen und um Abtransport bitten. Sie sind im Weg und erzeugen falsche Romantik. Das sollte Herzdame einleuchten. Protestiert sie, kann man Flexibilität zeigen und die Ober um eine Rückgabe der lästigen Wachsstangen bitten. Ist sie mit der Entfernung der Kerzen einverstanden, kann man unter dem Tisch einen Fuß der Herzdame suchen und eine Solidaritätsbekundung vornehmen.
Kein Restaurant ist so furchtbar, daß man es sich nicht mit ein paar giftigen Bemerkungen über das entsetzliche Mobiliar und die niederträchtigen Deckenlampen gut einrichten könnte. Ist man in einem hochgestochenen gelandet, kann man sich darüber ebenso amüsieren wie über ein heruntergekommenes. Wichtiger als der erste Blick in die Speisekarte ist ein kurzes Taxieren der Räumlichkeit und der anderen Gäste. Man läßt den Blick unauffällig schweifen, erkennt sofort die melancholischen Genießer, die hastigen Geschäftsleute und das verlegene Liebespaar. So immerhin sei man nicht, sagt man seiner Dame. Die gemeinsame Einschätzung der Lage eint mehr als jedes Essen.
Egal, wo man gelandet ist, man sollte sich beim Bestellen des Essens nicht verkünsteln. Man rät und läßt sich raten und zaudert nicht lang. Vegetarisch sollte es bei einem Verführungsessen nicht zugehen. Gemüse ist angenehm, aber nicht sexy. Einer Fleisch, einer Fisch - und dann tauschen, schlage ich vor. Tauschen ist immer gut. Neugierig im anderen Teller stochern und im eigenen stochern lassen: damit zeigt man Interesse und Ungeniertheit.
Nie nippe man andächtig, nie mümmle man mit spitzem Mund dem Geschmack hinterher. Das, was man da vor sich auf dem Teller hat, ist heute nicht das große Thema. Man sieht sich längst tief in die Augen und redet über weißgottwas. Über die Theateraufführung,
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