Aus dem Leben eines Lohnschreibers
deren Karten man verfallen ließ, zum Beispiel. Auch was geredet wird, ist nebensächlich, nur was dahinter mitschwingt, ist von Bedeutung. Heute werden keine Speisen geprüft, sondern die Lust aufeinander. Das Essen ist allein Mittel zum Zweck. Es wird nicht zelebriert, sondern fast beiläufig verschlungen. Eine gewisse Gefräßigkeit sollte man an den Tag legen. Gier ist sinnlich. Kein Kauen am Wein mit schrägem Kopf, keine winzigen Häppchen zum Mund führen. Was soll sie denken. Wer vom Wein mit spitzem Munde nippt, der wird auch von der Liebe nur nippen.
Wie man ißt, so liebt man vielleicht. Wer artig seine Suppe löffelt, wird auch ein artiger Liebhaber sein. Das tun wir nicht. Ob Selleriecreme oder Ochsenschwanzbouillon oder ein Fischsüppchen mit netten Krebsteilen darin - nach drei Löffeln wandert die Terrine an den Mund und wird getrunken. Dezentes Schlürfen ist erlaubt. Wer auf das Präsentieren seiner guten Sitten bedacht ist, der wird nur einer Spießerin gefallen. Es ist doch aber anzunehmen, daß hier das Herz einer Frau von Format erweicht werden soll.
Und nicht das Tauschen vergessen. Ihr geben, und von ihr probieren. Bei der Tauschaktion berühren sich Hände und Arme. Und schon kommt der nächste Teller. Daß man einen eigenen Willen hat und sich nicht zum Knecht der Köche machen läßt, kann man zeigen, indem man sich nicht zu jedem Gang einen anderen Wein aufschwatzen läßt. Man bleibt bei seinem Roten, trinkt aber ständig von ihrem Weißen. So zeigt man seine Treue. Auch das eint und ebnet.
Schmeckt ein Gang oder das ganze Essen nicht, ist auch das nicht der Rede wert. Dann verbindet eben der Reinfall. Das ist kein Tag für Beschwerden. Dann bestraft man den Koch, indem man sich fröhlich an Weißbrot und Butter hält. Man zetert, klagt und nörgelt nicht, wenn man verführen will. Souverän, wie man die fade Pastete mit dem blöden Muster liegenläßt. Das muß ihr auffallen. Statt dessen einfach ein Stück Butter auf die dünne Weißbrotscheibe streichen. Aber bitte lustvoll. Fortgeschrittene Verführer bestellen etwas Olivenöl und tunken das Brot hinein. Öl trieft. Öl ist nicht so keusch wie Butter.
Am Schluß dieser zweiten Version der Verführungsgeschichte hatte ich wieder die Garnelen gebracht, die man tierisch mit der Schale verspeisen müsse. Jetzt kam das Ganze als Tip: Nur nicht den Kellner um neue Servietten bitten, sondern Herzdame mit einem tiefen und eindeutigen Blick in die Augen die Finger sauberlecken. Seltsamerweise hatte die Redaktion diesen Schluß nicht gestrichen.
Das also war irgendwann Mitte der 1990er Jahre 6000 alte harte deutsche Mark wert. Zuzüglich Mehrwertsteuer. Solche großzügigen Honorare sind nach der Euro-Umstellung selten geworden. Ich schrieb damals spaßeshalber in die Rechnung hinein, der Betrag sei »inklusive 1000 Mark Schmerzensgeld wegen möglicher Beschädigungen meines seriösen Images als deutscher Dichter«. Die Formulierung erschien dann auch in der Verwendungsspalte meiner Bankauszüge: »Inkl. Schmerzensgeld wg. mögl. Beschädigungen des seriösen Images als deutscher Dichter.« Ich habe mich damals gefragt, ob man den Schmerzensgeld-Bestandteil des Honorars auch versteuern muß.
Der Text war zu lieblich geraten, aber er tat mir nicht wirklich weh und er beschädigte meinen Ruf keineswegs. Auch die erste Version hatte keine Schärfe gehabt. Die zivilisierte Gesellschaft hat andere Ohrfeigen verdient. Dennoch oder deswegen: Ein paar Mal hat mir der Text sogar geholfen. Denn natürlich habe ich es öfter mal ausprobiert und nachgemacht, was ich zunächst am Schreibtisch erfunden hatte: das mit dem Abschlecken der Finger. Die Literatur, egal ob Auftragstexte oder Romane, muß nicht nur immer beschreiben, was ist. Sie kann auch mal etwas vorschlagen oder vorschreiben. Vielleicht haben all diese Spezialzeitschriften mit ihrem Ratgebergetue in diesem Punkt gar nicht so unrecht. Warum sollen nicht auch literarische Texte Anregungen zu neuen Verhaltensweisen enthalten.
Später habe ich die Redakteurin getroffen und mein Einladungsversprechen gehalten: Als sie mir ihre Finger mit dem Rostbratwurstfett und den Senfresten zur oralen Säuberung anbot, habe ich gepaßt. Sie arbeitete mittlerweile bei einer Zeitschrift für Segler. Man hatte ihr bei der Freßzeitschrift gekündigt, weil sie mit den Autorenhonoraren etwas zu freigebig gewesen war. »Ich finde, Segeln ist das Stumpfsinnigste überhaupt«, sagte ich. Sie würde mich
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