Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
Vom Netzwerk:
so oft, so heftig und so lang wie möglich zu verlieben. Die Lagen und Jahrgänge von Weinen, Restaurants mit Sternen, Mobiliar, das man nach den Regierungszeiten debiler Könige benennt, war mir dabei immer gleichgültig gewesen. Solange nur der Wein nicht süß und die Möbel nicht von Ikea waren. Es gibt Grenzen. In Ikeabetten könne ich nicht vögeln, behaupte ich. Am alleregalsten sind mir immer schon Opernfestspiele mit Weltstarbesetzung gewesen. So verdreht aber war leider keine Zeitschrift, mich zu den Bayreuther Festspielen zu schicken und einen Text bei mir zu bestellen, in dem ich meinem Abscheu vor der Musik Richard Wagners freien Lauf hätte lassen und mir über das Festspielpublikum das Maul hätte zerreißen können.
    Immerhin, man schickte mich in die Toskana, wo ich das Kunststück fertigbringen sollte, den hundertsten oder tausendsten ironischen, aber bitte nicht verletzenden Bericht über die Toskanadeutschen und ihr Konsumverhalten zu schreiben. Dieser Bericht gelang mir trotz meines Liebeskummers oder wegen ihm, denn in dem Haus, in dem ich wohnte, gab es eine Gesamtausgabe meines Lieblingsdichters Heinrich Heine, in der ich besessener las als ein Konvertit im Katechismus. Oh Heine, du Trost der Liebeskranken, du Kenner süßer kleiner falscher Frauenherzen! »Tuo piccolo cour, certo nulla è più dolce e più falso!« Mein Toskanadeutschenporträt bestand fast ausschließlich aus Heinezitaten. »Vergiftet sind meine Lieder - Ich trage im Herz viel Schlangen - io porto in cuor molti serpenti.« Im übrigen gestand ich darin, daß ich guten Wein, der fünf Mark pro Flasche kostet, nicht von gutem Fünfundzwanzig-Mark-Wein unterscheiden könne und wolle - dito Olivenöl. Daß jeder, der Unterschiede herausschmecke, geschmäcklerisch sei, daß unter Weinkennern ein noch größeres Gebluffe, eine noch bizarrere Scharlatanerie herrsche als auf dem Katastrophenmarkt der modernen Kunst. Daß der Geschmack, den man vor dem ersten Schluck Wein im Mund habe, hundertmal wichtiger sei als der Wein selbst. - Da fast kein Mensch guten Fünf-Markvon guten Fünfundzwanzig-Mark-Weinen unterscheiden kann, bekam der Artikel Zuspruch von allen Seiten, vor allem von den Spitzengenießern, die schon immer gesagt hatten, daß man Wein aus Flaschen, die weniger als fünfzig Mark kosten, nicht in den Mund nehmen sollte. Meinen Zusatz, daß Leute, die Weine über fünfundzwanzig Mark trinken, selbst in einer politischen Pflaume wie mir den Klassenkämpfer weckten, hatte der Redakteur gestrichen.
    Die meisten Auftragsarbeiten mißlangen allerdings so unrettbar, daß sie nicht gedruckt wurden. Denn ich konnte im Grunde von nichts anderem schreiben als vom Jammer des Verlassenwordenseins, egal ob ich eine Polemik gegen das zeitgenössische Design abzuliefern hatte oder mich über den tieferen respektive höheren Sinn von Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen auslassen sollte. Die Redaktionen hatten für meine Themaverfehlungen wenig Verständnis. Weil ich nur meine entflohenen Frauen im Sinn hatte, rutschten mir Wendungen in den Text wie »Wer aber ohne Liebe ist« - ein Gebetbuchverlag hätte mich als Texter gut gebrauchen können.
    Noch hatte ich Freunde, die mich nicht verloren gegeben hatten, oder so taten, als hätten sie mich nicht verloren gegeben. Sie quälten mich mit ihren Ratschlägen. »Vergiß deine zickigen Weiber!« sagten sie, und ich litt unter ihrer unmenschlichen Empfehlung. Ich wollte meine Weiber nicht vergessen. Vor allem sollte ich reisen. Andere Orte würden mich auf andere Gedanken bringen. Einer sagte, ich müsse unbedingt nach Mexiko fahren, und nannte mir allen Ernstes ein Dorf irgendwo zwischen Urwald und Wüste, wo die gegrillten Kakteenscheiben besonders lecker seien. Er suchte nur fünf Sekunden nach dem unaussprechlichen Namen, und dann hatte er ihn. »Tehuantepec.« Die Leute geben einem heute Kneipentips für Orte am Arsch der Welt. Als wahrer Kenner erweist sich, wer Dorfkneipen am Rand der Dritten Welt kennt, die nicht mal im alternativsten aller Reiseführer stehen. Tehuantepec. Als sei das ein neues Fruchteis, das man in der Tankstelle nebenan bekommt. Ein anderer alter Freund lud mich zum Essen ein und riet mir zu Kuba. Die Auflösungserscheinungen des mumifizierten Sozialismus zu beobachten sei für einen Schriftsteller Pflicht. Diese Geflügelmärkte. Dieser Zuckerrohrschnaps. Dann diese maßlose Prostitution, die einen die ersten drei Tage abstoße, um einen dann um so

Weitere Kostenlose Bücher