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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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stellte mir plötzlich vor, daß Ines von meinem Verleger und der Lektorin auf ihrer Insel aufgesucht worden war. Ines am Strand. Ihr neuer Geliebter oder alter Ehemann steht unentschlossen im Wasser und starrt auf den Horizont. Er ist Ines nicht gewachsen. Ines holt eine Tomate aus ihrer Tasche und beißt zu. Saft rinnt ihr das Kinn hinab, den sie mit ihrem Handrücken abwischt. So hat sie immer Tomaten gegessen. So habe ich es beschrieben. Die Tomatenesserin. Da treten meine Verlagsleute herbei. Der Verleger redet auf Ines ein. Er hat vier Tausendmarkscheine in der Hand. Ich kann nicht hören, was er sagt, aber es wird mir klar, daß es nur Folgendes sein kann: »Sie sind im Begriff, das Leben und die Laufbahn eines unserer hoffnungsvollsten Autoren zu zerstören. Sie können das vielleicht verhindern, wenn Sie ihm eine Zeile schreiben.« Ines greift gelangweilt erst zu den Geldscheinen, dann zu der Postkarte, die ihr die Lektorin zusammen mit einem Stift reicht, die Lektorin diktiert, und Ines schreibt.
    Seitdem sind Monate vergangen. Ich habe nichts von Ines gehört, dem launischen Luder. Mein geplanter Roman wollte nicht gelingen. Wie leicht war mir früher das Hinwerfen von ein paar guten Seiten über Freud und Leid der Polygamie gefallen. »Ich muß was tun«, hatte ich Helene zugeflüstert, wenn ich morgens um vier das Bett verließ. Dann schrieb ich rasch eine halbe Seite, eilte zu Ines am anderen Ende der Stadt und lag schon um fünf Uhr in deren Bett. Um acht Uhr saß ich längst wieder zu Hause am Schreibtisch, hatte auf dem Weg von Ines zu Helene bereits ein Baguette gekauft, die zweite halbe Seite zu Papier gebracht und die Kaffeemaschine in Gang gesetzt.
    Vorbei das schöne Leben. Nun schleppte ich mich schwunglos herum. Der Verlag schien weder Ines noch Helene mit Geld bestochen oder ihnen sonstwie ins Gewissen geredet zu haben, es wenigstens der Literatur zuliebe noch einmal mit mir zu versuchen. Bitte! Verstehen Sie doch! Nur einen Roman lang! Von einem anständigen Verlag hätte ich solche Intrigen erwartet. Ich will betrogen werden. Statt dessen hatte der Verlag das Interesse an mir verloren. Als rasanten Spötter hatten sie mich eingekauft, und nun war ich ein Jammerlappen geworden.
    Ich hatte, soviel ich weiß, immer eine Literatur geschrieben, die sich lesen ließ. Solche Bücher werden in der Regel nicht mit Preisen bedacht. So gab es auch jetzt keine mildtätigen Jurys, die sich meiner erinnerten und mich mit Stipendien und Stadtschreiberposten durchfütterten. Allerdings hatte ich aus guten Zeiten in einigen Redaktionen noch Freunde sitzen, die mir ab und zu etwas zu schreiben gaben. Sie waren bei Zeitschriften gelandet, die sich mit dem Feinschmeckertum oder mit der Inneneinrichtung toskanischer Landhäuser oder mit der hohen Mode befaßten. Ich hatte solche Blätter in meinen fetten Jahren immer verachtet und verhöhnt - nun war es ein Hohn anderer Art, daß sie mir zu tun gaben, mich ins Brot setzten, wie der altmodische Ausdruck sehr richtig lautet. Je opulenter die Blätter, desto menschenfreundlicher waren nun die Redakteure. Sie nahmen es mir nicht übel, daß ich die Blätter, für die sie sich jetzt gegen üppiges Einkommen krummlegten, nach wie vor verlachte. Ich rätselte, ob ein Zusammenhang zwischen Wohlleben und Freundlichkeit bestand, ob der Umgang mit dem Überfluß womöglich gut und sanftmütig und uferlos tolerant macht - was dann hieße, daß der Kapitalismus an seinen äußersten Rändern eine Mildtätigkeit produziert, gegen die alle sozialen Einrichtungen des Wohlfahrtsstaats und der Kirche nichts sind. Dufte These: Wer sich mit dem Elend der Welt befaßt, muß irgendwann zum Laissez-faire-Zyniker werden. Wer aber hauptberuflich eine Kundschaft bedient, die genug verdient, um sich ausgiebig für gutes Essen und handgeschnittene Ziegelsteine aus Arrezzo zu interessieren, der wird ein milder Mensch und hat ein Herz für die Armen dieser Erde. Vielleicht weckt der stete Umgang mit dem Luxus auch ein schlechtes Gewissen und damit ein Bedürfnis, den Hungerleidern Gutes zu tun. Oder die allmonatliche Anbetung von Delikatessen aller Art erzeugt ein Verlangen nach Säure und läuternden Bitterstoffen, weil Wohlstand und Wohlklang und Wohlsein einem sonst eklig werden.
    Die Redakteure der Lebensgenußpostillen nahmen mir nichts übel, auch nicht, daß ich von den klassischen Bereichen des Wohllebens nichts verstand. Ich war immer auf nichts anderes aus gewesen als darauf, mich

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