Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers
Futtermehl, der neue Hund kann also mit den Überresten des alten großgezogen werden. Und Gummibärchen werden aus den Knochen auch noch hergestellt. Höchstwahrscheinlich können sie in einer modernen Tierkörperbeseitigungsanlage so gut wie alles produzieren. Demnächst kommt womöglich ein komplett runderneuerter Cockerspaniel oder Wellensittich am Ende dabei heraus, und das ganze Elend geht wieder von vorne los.
Was wäre, wenn es die Einheit nie gegeben hätte?
Der November ist wirklich ein sehr bedenklicher Monat, weil man da ziemlich viel bedenken muss. Zum Beispiel muss man am 9. November immer bedenken, wie es wohl wäre, wenn es die DDR noch gäbe.
Es wäre fast alles wie früher, also entschieden besser als heute. Wenn jemand an unserem Staat herumkritisierte, dann könnten wir ihm im Brustton der Überzeugung sagen: »Geh doch nach drüben, wenn’s dir hier nicht passt.« Heute weiß kein Mensch mehr, wo Drüben überhaupt anfängt, die meisten denken wahrscheinlich, damit ist Holland gemeint. Eine Autofahrt von Frankfurt nach Berlin wäre nicht mehr sterbenslangweilig, sondern würde hinter Herleshausen oder auch Helmstedt richtig spannend. Mit Sättigungsbeilagen, metertiefen Schlaglöchern und gnadenlosen Kontrollen durch die Volkspolizei.
Man wüsste vor allem ganz genau, wo Ostdeutschland anfängt, weil da selbst das Gras grauer gewesen ist. Heute muss man durch Hinweisschilder aufmerksam gemacht werden, weil man sonst keinen Unterschied mehr sieht. Denn inzwischen sind Milliarden in die Vergrünung der Ostlandschaften geflossen.
Wenn es die Einheit nicht gegeben hätte, dann würde die DDR noch immer existieren, und das wäre ja durchaus erstaunlich. Nach allgemeinen Berechnungen war der Staat 1989 finanziell kurz vor dem Kollaps, ungefähr wie Deutschland jetzt. Gäbe es die DDR noch heute, dann würde das bedeuten, dass die Planwirtschaft doch irgendwie funktioniert hätte. Und wie das geht, hätte man schon gerne mal gewusst. Der Staatsratsvorsitzende hieße jedenfalls Egon Krenz, Minister für Staatssicherheit wäre immer noch Erich Mielke, mit 103 Jahren jünger als Johannes Heesters und entschieden wachsamer.
Der Staatsratsvorsitzende der BRD wäre immer noch Helmut Kohl, und die Frau von Joachim Sauer würde als Physikerin arbeiten. Gerhard Schröder würde sich gute Chancen ausrechnen, 2013 endlich mal Kanzler zu werden.
Die Fußballnationalmannschaft der BRD hätte kein Kapitänsproblem, genauso wenig wie die Fußballnationalmannschaft der DDR. Wir wären aber 1990 trotzdem Fußballweltmeister geworden und selbstverständlich auch 2006, weil wir da ja nicht mit Ballack hätten spielen müssen.
Mecklenburg-Vorpommern hätte kein Naziproblem und die schönen neuen Breitbandkabel lägen jetzt in der BRD. Die DDR-Bürger müssten nicht unter 46 verschiedenen Telefontarifen von 81 Anbietern wählen, sondern jeder hätte das Einheitstelefon mit serienmäßiger Mithörgelegenheit für interessierte Kreise.
Für die bundesdeutschen Talkshowbetreiber wäre die Lage etwas kritischer, weil man nicht mehr Gregor Gysi oder Sara Wagenknecht einladen könnte, also einladen könnte man die schon, aber die dürften nicht rüber. Gysi müsste dann immer durch Bernd Hoecker ersetzt werden, und das wäre vielleicht, ja mit Sicherheit besser. Außerdem wüssten wir ohne den Mauerfall überhaupt nichts von der Existenz Gregor Gysis, und das würde ja schon allein gegen die Wiedervereinigung sprechen.
Wenn es die Einheit nicht gegeben hätte, dann hätte ich nicht so schrecklich viele ungelenke Konjunktivkonstruktionen benutzen müssen und wir würden an Weihnachten immer schwer gerührt an unsere Schwestern und Brüder im »anderen Teil« Deutschlands denken, während wir heute meistens denken, dass die ruhig mal etwas dankbarer sein könnten. Dafür, dass wir sie Westdeutschland und die Westautos und Aldi-Nord und Aldi-Süd mitbenutzen lassen.
Hätten wir immer noch zwei Deutschlands, dann müssten sich westdeutsche Schüler nicht die sperrigen Namen von fünf neuen Bundesländern merken, sondern einfach nur DDR, und es gäbe sehr viel weniger Kevins.
Ich würde mit meiner Mutter viermal im Jahr in den Keller des Gesundheitsamts in Bielefeld gehen, damit dort in einem schlecht beleuchteten Raum ein Mann in einem grauen Kittel den Inhalt unseres Päckchens nach drüben desinfiziert, weil das die Willkürherrscher im Osten so wollten.
Ohne die Einheit hätte Hans-Dietrich Genscher auf dem Balkon
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