Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers
sie einen besonders guten Blick darauf von ihrem Schreibtisch aus, oder es sind Arschfetischisten. So etwas soll es geben. Aber ich frage mich auch ganz ehrlich, was das eigentlich für Kollegen gewesen sind, denn genauso wenig wie an Ida, Elsa und ihre Ärsche kann ich mich an Rellis, Cookwxvn, Dmevansvkj, Sthomasks und Ertsjonathanbkq erinnern. So heißen die Absender der Mails nämlich. Solche Namen würde man nun wirklich nie vergessen. Ich frage mich ernsthaft, was damals in der Firma los gewesen sein muss. War ich da eher ein Außenseiter? Vielleicht gab es wüste Parties, sobald ich das Büro verlassen hatte. Dann schrie Rellis: »Hey, Cookwxvn und Dmevansvkj, kommt her, wir gucken uns die Ärsche von Isabel und Ida an.« Irgendwie sehe ich sie direkt vor mir, diese Burschen. Etwas rätselhaft scheint mir, dass die Mails in Englisch abgefasst sind, aber »Remember Elsa? She worked in our office. The chick with great ass« klingt einfach cooler, und wahrscheinlich arbeiten meine alten Kollegen Cookwxvn und Ertsjonathanbkq längst für internationale Betriebe, wo sie den ganzen Tag Ärsche beobachten und einen Haufen Geld dafür kriegen. Nett, dass sie mich trotzdem nicht vergessen haben.
Taschenspielereien
Wie fast jeder Mensch, der schreibt, träume ich davon, einen Roman zu verfassen. Den großen Gegenwartsroman am besten, weil darauf alle warten und die Vorschüsse bestimmt astronomisch hoch sind. Jonathan Franzen schreibt solche Romane, und als er im Frankfurter Schauspiel auftrat, nutzte ich die Gelegenheit, um zu beobachten, wie man sich als Gegenwartsromanautor benimmt. Franzen las auf Deutsch, das haben wir schon mal gemeinsam, und er trägt wie ich eine schwarze Brille. Er stellte sich hinter seinen Lesetisch und schleuderte voller Tatendrang eine voluminöse schwarze Aktentasche auf die Tischplatte. So, wie es früher in der Schule mein Lateinlehrer Herr Graeser machte. Es war eine alte ab- und vielgenutzte Tasche, die man selbst bei eBay nicht mehr bekommt, ich habe es gerade nachgeprüft. Wenn man als Suchbegriff »Franzen Aktentasche« eingibt, erhält man einen Treffer, aber es ist nur ein hässlicher Aktenkoffer der Firma Franzen. Kein Vergleich mit der eindrucksvollen Aktentasche des Dichters.
Eigentlich glaubte, ja hoffte ich, Franzen würde jetzt einige irritierende Gegenstände aus der Aktentasche holen, beispielsweise ein Nudelholz, eine Säge und eine Hupe. Diese Dinge hätte er eine Weile ratlos angeschaut, dann zurück in die Tasche befördert und dafür ordentlich Lacher abgeräumt. Es war definitiv eine Aktentasche, die solche Aktionen herausforderte, aber Franzen, ganz der große Romanautor, der er nun mal ist, widerstand der Versuchung und zog, ohne umständlich herumzukramen, einfach nur sein Buch aus der Aktentasche.
Mehr war mit Sicherheit auch nicht drin, er hätte das Buch auch einfach mit auf die Bühne bringen können. Aber er transportierte es in der Tasche, einfach um zu zeigen, dass er es als Romanautor nicht nötig hatte, uns mit billigen Tricks zu beeindrucken. Die Tasche war ein Statement. So eine Aktentasche muss ich auch haben. Das ist der erste Schritt ins Romanautorleben. Doch was trage ich dann in der Tasche herum? Ich habe ja noch gar keinen Roman geschrieben.
Es ist gar nicht so leicht, ein überzeugender Romanschriftstellerdarsteller zu sein. Es reicht nicht, ein paar Hilfsverben und Konjunktionen mit sich herumzutragen und ein Nudelholz. Natürlich könnte man einfach einen Roman darüber schreiben, wie einer sich eine Aktentasche kauft und hofft, damit beginne seine Karriere als Romanschriftsteller, aber die Tasche bringt ihm nur Unglück und am Ende klettert er selber in die Tasche und verschwindet.
Wenn das Buch Erfolg hätte, könnte man einen zweiten Teil schreiben, in dem die Abenteuer des Mannes in der Aktentasche erzählt werden. Im Inneren der Tasche ist nämlich ein Paralleluniversum, das von Aktentaschen bewohnt wird, in den Kirchen hängen Kreuze, an die Aktentaschen genagelt sind, und so einen Roman würde Franzen niemals schreiben, weil er dem Realismus verpflichtet ist und genau weiß, dass sich im Inneren einer Aktentasche nur sein Buch befindet.
Was macht Franzen außer der Aktentasche sonst noch zu einem großen Romanautor? Er ist ein leidenschaftlicher Bird-Watcher, er beobachtet Vögel. Er soll schon über tausend verschiedene Arten auf seiner Liste haben. Ich beobachte auch gerne Vögel, obwohl ich eher das Gefühl habe, dass sie mich
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