Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers
hereinfallen. Seine Frau trat zeitgleich von ihrem Amt als Ministerfrau zurück. Aufatmen in der Medienwelt, endlich müssen sich seriöse Journalisten nicht mehr mit Hemden und Schuhen von uninteressanten Adligen beschäftigen, sondern können sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren: die Schuhe von Lady Gaga.
Februar: Die Uno erlässt ein Verbot für Popmusik mit Orchesterbegleitung. Sting muss seine sämtlichen Tonträger einschmelzen, die Rechte an seinen Liedern werden ihm auf Lebenszeit entzogen. Opernsänger, die Jazz- oder Popstandards zum Besten geben, werden vor das Den Haager Geschmacksverbrecher-Tribunal gestellt. Journalisten, die über den Blödsinn geschrieben haben, müssen hohe Geldstrafen zahlen.
Wer darüber hinaus noch erklärt, dass er die Trennung zwischen E- und U-Musik aufheben wolle, wird zu 50 Jahren gemeinnütziger Arbeit in einer Phrasendrescherei verurteilt. Wer sich der Veröffentlichung von »Tribute-Alben« oder Duetten mit »ungewöhnlichen Partnern« schuldig macht, muss die Konsequenzen tragen. Wer außerdem noch behauptet, in den USA sei alles viel lockerer und hier wollten ihn die Kritiker immer nur in eine Schublade stecken, der wird in eine Schublade gesteckt und nicht mehr rausgeholt.
März: Bayreuth wurde in die Luft gesprengt, bevor Katharina, Eva, Nike oder Adidas Wagner auf die Idee kommen, Jürgen Drews den Ring inszenieren zu lassen. Niemals mehr sollen von deutschem Boden Artikel mit Überschriften wie »Familienkrach im Hause Wagner« ausgehen.
April: Annette Schavan, tja, bei dem Namen erschreckt man sich unwillkürlich, aber die ist auch 2011 immer noch Ministerin und hat eine richtig gute Idee. Sie schaltet Fernsehen und Internet für zwei Wochen ab, damit die Bürger Gelegenheit haben, »Anna Karenina« zu lesen. Und ausgerechnet in den zwei Wochen hat dieser uninteressante englische Adlige seine Braut geheiratet.
Mai: Der Verkehrsfunk verzichtet ab so sofort auf Meldungen, in denen davor gewarnt wird, dass sich auf irgendeiner bundesdeutschen Autobahn »Personen auf der Fahrbahn« befinden. Wäre ja auch noch schöner. Es wimmelt ständig vor Personen auf der Fahrbahn. Die sitzen in ihren Autos und stellen eine permanente latente Bedrohung dar, vor denen muss mich nun wirklich keiner warnen.
Juni: Ein tolles Jahr. Elton John hat Madonna adoptiert und dann erst mal von einer Leihmutter verprügeln lassen.
Juli: Immer noch kein neues Interview mit Thilo Sarrazin. Der Mann hat sich ja auch total abgeschafft. 2010 wurden so viele Kinder wie seit Jahren nicht geboren, 2011 noch mehr. Wegen Sarrazin. Deutsche Männer und Frauen haben sich im Schlafzimmer abgeschafft, damit sie nicht abgeschafft werden. Sarrazins Buch war also in Wirklichkeit ein Erotikthriller.
August: Wo wir gerade von Sigmar Gabriel reden, der Mann ist völlig in Vergessenheit geraten. Er schlief im Mai in einem Schwebebad nahe Hannover ein und erwachte erst drei Monate später. Er fühlte sich leicht und vollkommen klar im Kopf und trat deshalb sofort aus der Partei aus.
2011 war das Jahr des Friedens und der Völkerverständigung. Zwischen Bielefeld und Steinhagen an der B68 wird sie vorbildlich vorgelebt, ein Imbiss bietet »Oma’s Gyros«. Na also, so geht’s doch auch, da werden Deutsche und Griechen miteinander versöhnt und irgendwie die Türken auch. Der falsche sächsische Genitiv deutet außerdem darauf hin, dass wir es mit einer ostdeutschen Oma zu tun haben. Noch besser. Jetzt müssen die Muslime nachziehen mit »Mullah Omar’s Bratwurstgrill«.
September: Hab ich schon erwähnt, dass Captain Beefheart am 15. Januar 70 Jahre alt geworden wäre? In diesem Jahr fanden Wissenschaftler auch noch heraus, dass die Musik von Yoko Ono doch nicht wirklich richtig gut ist.
Oktober: Riesenskandal, als man feststellt, dass die Regierung Atommüll auf Friedhöfen entsorgt. Plutonium als Grabbeigabe. Da strahlt die Witwe, aber ein Friedhof ist keine sichere Endlagerstätte. Zum Jüngsten Gericht wird das ganze Zeug nämlich wieder freigesetzt und lebt möglicherweise ewig. Die Grünen fordern die Urnenbestattung für Atommüll.
Buchmesse: Niemand schrieb 2011 eine ergreifende Liebesgeschichte, die vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus spielt. Zum ersten Mal seit 70 Jahren verfasste niemand einen Roman, in dem es um die »Schattenseiten des amerikanischen Traums« ging, und es gab auch keine »brillante Satire auf den Kulturbetrieb«. Nein, gab’s nicht. Wenn ich’s doch sage. Und
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