Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers
ergreifen von mir Besitz. Werde ich den richtigen Baum finden? Wann ist der beste Zeitpunkt, wo soll man zuschlagen? Fichte, Kiefer, Douglasie? In den letzten Jahren gab es bei uns nur noch Nordmanntanne. Der Baum sieht tiptop aus, doch der Name erweckt ungute Assoziationen. So muss jede Integration scheitern. Welcher Moslem kauft schon eine Nordmanntanne? Aber wäre Muselmanntanne die Alternative? Rund um unser Forsthaus hatte man einen richtigen Baumschlagvergnügungspark aufgebaut. Mit Buden und Tischen und Bänken und Baumberatern. Dutzende von übermütigen Menschen kamen uns entgegen, sie trugen stolz ihre in einem weißen Netz verschnürte Trophäe nach Hause.
Warum sind wir so spät losgefahren? Die Tochter umklammert trotzig die Säge, aber man weist uns ab: Selbsteinschlag zu gefährlich, in der Schonung herrscht Glatteis. Also wühlen wir uns durch Haufen von unansehnlichen, vorgeschlagenen, also »precutted« Bäumen. Alle zu klein, zu groß, zu ausladend oder oben zu mickrig. Nach langem Suchen fanden wir dann doch den Baum, der auf uns gewartet hatte, und wie jedes Jahr stellte sich die Frage: »Riecht der?« »Die riechen alle«, sagte der Forstamtsmann und erklärte uns, dass er und seine Kollegen zwölf Jahre an dem Baum gearbeitet hätten – dafür wären 50 Euro kein zu hoher Preis. Dreißig Kerzen passten drauf, wie immer der beste Baum, den wir je hatten. Insgesamt hat er zwölf Mal gebrannt, also 360 Kerzen verbraucht und fünfzehn Liter Wasser. Es gab fünfmal heftigen Streit, 32 Kilo Geschenke und 120000 überflüssige Kalorien. Am Morgen des 3. Januars stand ich lange vor dem Baum, hörte wie seine Nadeln rieselten und wusste: einer von uns beiden muss verschwinden. Ich riss ihm seine militärischen Rang- und Ehrenabzeichen runter. Ich gab ihm nicht die Kugel, sondern nahm sie ihm weg und verpackte sie sorgfältig für seinen Nachfolger, und dann verpasste ich ihm den finalen Fußtritt. Ich hatte die Nase voll von ihm, obwohl er nach nichts roch. Der Baum hatte mich lange genug gegängelt und unter Druck gesetzt. Eigentlich war es Notwehr.
Ein bescheidener Vorschlag zur Verbesserung der Lage der steuerzahlenden Klasse
Prominente Steuerhinterzieher wie Klaus Zumwinkel, Boris Becker oder die rheinland-pfälzische CDU werden gerne mit Spott und Häme bedacht, meist von biederen Lohnschreibern, die höchstens bei den Werbungskosten betrügen können und ansonsten ohnmächtig dabei zusehen, wie ihnen die Steuern direkt aus der Lohntüte weggebucht werden. Ein Weg aus Steuerschuld und -sühne wäre also, die Einkommenssteuer und damit die Selbstständigkeit abzuschaffen.
Wenn jeder angestellt wäre, gäbe es viel weniger Möglichkeiten, nennenswerte Beträge vor dem Finanzamt zu verbergen. Wir hätten nur noch vier einfach gegliederte Lohngruppen: eine niedrige, eine mittlere, eine höhere und eine für Spitzenverdiener. Das bedeutet für jeden einen klar vorgezeichneten Lebensweg, man fängt zwar niedrig an, kann aber immer als Spitzenverdiener enden. Arbeitgeber ist der Staat, und der darf keinen entlassen. Klingt wie von der Linkspartei diktiert, könnte aber auch von Friedrich Merz sein. Tatsache bleibt: Es wird in diesem Land einfach zu viel Zeit und Energie damit vergeudet, vier Radiergummis und zwei Fahrradschläuche von der Steuer abzusetzen und Bewirtungsquittungen mit absurden Personenkonstellationen zu beschriften.
Statt durchschnittlich zwei Wochen des Jahres mit Steuerangelegenheiten zu verschleudern, könnte doch jeder in der gleichen Zeit gemeinnützige und soziale Arbeit leisten. Unentgeltlich und steuerfrei natürlich.
Ich persönlich mache meine Steuer eigentlich gerne, nur meistens etwas zu spät. Erst wenn ich den Berg von Quittungen vor mir ausgebreitet habe, begreife ich, wie wohltuend und reinigend das Ordnen von Rechnungen und Belegen und Bewirtungsnachweisen sein kann. Ein ganzes Jahr, durch das ich eher bewusst- und willenlos getaumelt bin, kann ich nun immerhin nachträglich in den Griff kriegen.
Jedesmal die bange Frage: habe ich mehr Geld für Benzin oder für Bücher ausgegeben, und wo sind eigentlich die zehn Radiergummis geblieben, die ich mir am Anfang des Steuerjahres als Büroeinrichtung zugelegt hatte? Unglaublich auch, wie viele Glühbirnen in so ein Arbeitszimmer passen, aber wie könnte ich bloß das ziemlich teure rote Puky-Fahrrad absetzen, das die Tochter unbedingt haben wollte? Als Requisit für einen Dokumentarfilm über kleinwüchsige
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