Aus dem Nichts ein neues Leben
des Alten, sah die verdrehten Augäpfel und fiel vor der Pritsche auf die Knie. »Opa!« rief er. »Opa, mach keenen Quatsch! Opa! So'n Theater sollste nich machen –«
Als der britische Gefängnisarzt erschien, war Joachim Kurowski tot. Er hatte nichts davon gemerkt … der Arzt versuchte es zu erklären: Irgendeine Ader im Gehirn war geplatzt. Aus.
»Er hat sich zu Tode jebrüllt!« sagte Franz Busko. »Mein Jott, wird uns der Ton fehlen –«
»Jetzt müssen wir 'raus aus dem Schneckenhaus«, sagte Paskuleit, als Pfarrer Heydicke die traurige Nachricht überbrachte. »Wir können Opa doch nicht als namenlosen Toten verscharren lassen. Ganz gleich, was folgt … ich hol ihn ab! Ich werd sagen, der Opa hat schon immer so Sachen gemacht. War plötzlich weg … und so haben wir uns dran gewöhnt …«
Die britischen Behörden, fern aller Bürokratie und verwundert auf die sich langsam erholende deutsche Verwaltung blickend, die wieder gut geölt mit Paragraphenschmier Stück für Stück der preußischen Gründlichkeit zurückeroberte, hatten kein Interesse daran, den toten Alten zu behalten und zu begraben. Als Paskuleit Opa Jochens Ausweis mit Lichtbild vorlegte, sich als Schwager der Familie Kurowski ausgab und die Leiche für ein schönes christliches Begräbnis erbat, händigte man ihm Opa Jochen aus, eingerollt in eine alte Militärzeltbahn. Auf dem Rücksitz des Opel P 4 holten Paskuleit und Felix Baum den alten Kurowski heim in die neue Werkstatt. Dort bahrte man ihn auf, tauschte gegen vier Reifen einen Sarg ein, Pfarrer Heydicke segnete den Toten ein, und dann wurde Joachim Kurowski auf dem Friedhof Lübeck-Süd begraben. Er kam damit in deutsche Verwaltung, erhielt eine Nummer und eine auf Quadratzentimeter berechnete Grube. Paskuleit schnitzte ein schönes Holzkreuz mit dem Wappen von Adamsverdruß.
Es war der Anlaß zum ersten Krach mit der deutschen Friedhofsverwaltung, die der Ansicht war, ein Stadtwappen gehöre nicht auf ein Grab, auch nicht in Verbindung mit einem Kreuz.
»Wer das Kreuz anrührt, dem schlage ich hundert Schuhzwecken in den Schädel!« brüllte Paskuleit. »Ist das klar?«
Die Adamsverdrusser, die das Grab umstanden, lächelten trotz des trüben Tages nach innen: Opa Jochen hatte einen Nachfolger bekommen. Der Ton von Adamsverdruß starb nicht aus.
Wer arbeitet, täglich vierzehn Stunden, und sich und eine Frau und drei Kinder aus dem Dreck zieht, vergißt, wie schnell die Zeit rennen kann.
Julia Rambsen hatte mit ihrem Hengst ›Goldener Sommer‹ Lübeck verlassen. Im Westfälischen, bei Borghorst, hatte sich ein Gutsbesitzer gemeldet, der früher einmal mit den Rambsens in Verbindung gestanden hatte und von ihnen Trakehnerpferde kaufte. Jetzt holte er Julia zu sich und bot ihr für ›Goldener Sommer‹ Stall und Weiden an. Von Gottfried Rambsen hatte man nicht wieder gehört, ebensowenig wie von Ewald Kurowski … sie waren im großen Schmelztiegel des Krieges verbrannt, ohne Rückstand, nicht mal ein Korn Asche war von ihnen geblieben.
Felix Baum – »Gott ist wirklich ein guter Mann!« sagte Paskuleit – bekam trotz seiner Vergangenheit eine Stelle als Amtsbote in Ratzeburg und schied mit Tränen. Franz Busko, wegen guter Führung schon nach einem halben Jahr entlassen, fand seine Erinnerung wieder und tauchte plötzlich in der Werkstatt auf, holte seine lederne Schürze vom Haken, setzte sich auf seinen Schemel und sagte zu Paskuleit: »Meester, die Absätze übernehme ick wieder …«
Pfarrer Heydicke erhielt eine Pfarrei in Kiel, vier andere Familien aus dem Dorf fuhren mit überfüllten Zügen nach allen Winden fort zu entdeckten Verwandten. »So zerplatzt Adamsverdruß –«, sagte Paskuleit, als Heydicke als letzter sich verabschiedete. »Wir bekommen es nie wieder zusammen.«
»Warum auch?« Heydicke schüttelte langsam den mächtigen Kopf. »Es kommt eine neue Zeit, Paskuleit. Wir werden hier Wurzeln schlagen, die Kinder sind schon eingewachsen, das geht so schnell. Adamsverdruß – das wird ein Märchen werden, und in zwei Generationen will auch das keiner mehr hören.«
»Die Kurowskis immer, Herr Pfarrer!«
»Auch die Kurowskis nicht, Paskuleit. Warten Sie ab … wenn Ludwig, Peter und Inge so alt sind wie wir, wird Ostpreußen ein Name auf der Landkarte sein, aber nicht mehr die Heimat, um die man Blut vergießen könnte.«
»Das ist undenkbar, Herr Pfarrer.«
»Es wird die natürliche Entwicklung sein, Paskuleit. Wir haben den Krieg verloren, und
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