Aus dem Nichts ein neues Leben
Paskuleit. Und drei Kinder hat sie. Man sieht's ihr nicht an. Sie ist zierlich und schüchtern wie ein junges Mädchen. Und dabei kann sie zupacken wie ein ostpreußischer Fuhrknecht. Verdammt, so eine Frau zu haben, ist schon ein Glück …
Heinrich Ellerkrug blieb acht Tage bei den Kurowskis. Er machte – was kluge Männer immer tun, wenn sie Mütter umwerben – einen Umweg über die Kinder, um Erna näher zu kommen. Er kaufte ihnen auf dem Schwarzen Markt Schokolade, brachte Butter und große Fleischportionen heran (Geld spielte keine Rolle bei ihm), spielte mit Inge im Sandkasten, half Erna die Wäsche aufhängen und gab Ludwig, der das Gymnasium besuchte, Nachhilfe in Latein und Mathematik.
»Ein widerlicher Mensch, Meester«, sagte Franz Busko in der Werkstatt zu Paskuleit. »Er schleicht um die Meesterin herum wie'n Fuchs um de Gans.«
»Ellerkrug ist unsere Zukunft, Franz!«
»Und wenn Ewald zurückkommt?«
»Er kommt nicht wieder, Franz.« Paskuleit starrte auf seinen Arbeitsplatz. Es fiel ihm schwer, das zu sagen. »Ewald ist von Rußland gefressen worden. Damit müssen wir uns abfinden. Aber Heinrich Ellerkrug ist da … was Besseres kann uns gar nicht passieren …«
An einem Samstagmorgen – Erna putzte gerade den Laden – sagte Ellerkrug, der an der Theke lehnte und schon vier Eimer schmutzigen Wassers ausgeschüttet und neues Wasser geholt hatte: »Erna, ich bin jetzt fünfundvierzig Jahre alt. Meine Frau starb in Königsberg 1944 bei einem Fliegerangriff. Ich habe keine Kinder. Aber ich habe ein sicheres Auskommen und werde bald Teilhaber der Kämper-Schuhfabrik. Ich möchte mit Ihnen einmal reden, Erna …«
»Nein!« sagte Erna Kurowski. Sie blickte auf, verzweifelt schrubbte sie die Dielen vor der Theke. »Bitte nicht. Ich warte auf Ewald … einmal kommt er zurück.«
»Und wenn nicht? Wollen Sie Ihr junges, herrliches Leben verwarten? Erna … wir sind keine dummen Kinder mehr. Wir kennen das Leben und sind durch die Hölle gegangen. Jetzt haben wir das Recht auf ein Stückchen Himmel. Erna …«
Er zog sie vom Boden hoch, legte die Arme um sie und küßte sie. Sie wehrte sich nicht, sie machte sich nur steif.
Und sie spürte tief in sich: Mein Gott, ich habe auf diesen Kuß gewartet. Bitte verzeih mir, mein Gott … Dann drückte sie sich von Ellerkrug ab und schüttelte den Kopf. »Nein!« sagte sie leise. »Nein, Heinrich … es … es ist noch zu früh. Laß mir Zeit … noch ein Jahr. Nur ein Jahr …«
11
Am nächsten Tag fuhr Heinrich Ellerkrug zurück nach Pirmasens. Erna begleitete ihn allein zur Bahn … Paskuleit entschuldigte sich mit dem Berg Arbeit, den Franz Busko in den zehn Tagen seiner Abwesenheit gesammelt hatte, und außerdem klingelte jetzt ununterbrochen die Ladentür, denn es hatte sich in Leverkusen schnell herumgesprochen, daß hier ein neuer Schuhmacher war, aus Ostpreußen, der könne Sohlen unter alte Latschen nageln, daß sie wie neu aussähen. Und außer Eßbarem nehme er sogar Geld an, der Idiot.
»Also nichts –« sagte Paskuleit, als Erna Kurowski nach einer Stunde wieder vom Bahnhof zurückkam. »Du bist'n Dussel, Erna!«
»Ich liebe Ewald, Julius. Und er ist nicht tot!«
»Man kann ihn für tot erklären lassen.«
»Nie, Julius, nie! Plötzlich ist er dann da … und ich heiße Ellerkrug und kann mich aufhängen!«
»Wenn er noch lebte, hätte er bis jetzt ein Zeichen gegeben.« Paskuleit wischte sich über die verschwitzte Stirn. Neben ihm lag ein Berg von Schuhreparaturen. »Ich weiß, ich weiß … dein Gefühl. Aber man muß real denken, Erna. Heinrich ist da, das zählt. Er liebt dich. Er hat's mir gesagt. Bei ihm ist's eingeschlagen wie 'n Blitz. Bumm, – da saß es! An der Tür schon, als er dich sah. Die oder keine, hat er gedacht. Und was machst du? Du spielst die Madonna. Erna … eine ganze Schuhfabrik, die Kämper-Schuhe, Luxusschuhe, mit Verbindungen zu Italien … das wird mal die ganz große Mode, sagt Heinrich, die Italiener werden stilangebend … Designer nennen sie das … die werden einmal die Schuhmode revolutionieren, und wir könnten mittendrin sein und brauchten nur die Schürzen aufzuhalten wie bei den Sterntalern … das Gold regnet von allein vom Himmel. Und Ideen hat der Heinrich. Eine Ladenkette will er gründen … ›Westschuh‹ in ganz Deutschland, wie Tengelmann und Kaisers Kaffeegeschäft, der modebewußte Herr, die moderne Dame trägt ›Westschuh‹, solche Sprüche will er kloppen … und das haut hin,
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