Aus dem Nichts ein neues Leben
lange Schusterahle. »Ich hab alles mitjehört, Meester«, sagte er keuchend vor Erregung. »Det is nun'n Jrund, det zu tun.«
»Was?«
»Ich trete in de Partei ein!«
»Franz, du in einer Partei? In welcher denn?«
»Ich kann's mir aussuchen. Se waren schon alle bei mir. Am besten jefällt mir die ›Liberale Fortschrittspartei‹. Kurz jenannt: LFP. Da sind de Unternehmer drin! Und det sind wir ja!«
Paskuleit betrachtete seinen Gesellen. Etwas Rührendes, Väterliches lag in seinem Blick. »Das ist gut gemeint von dir, Franz«, sagte er langsam. »Aber überleg mal: Was willst du in der Politik? Du hast doch keene Ahnung. Und mit deiner Lunge …«
»Seit der Krieg vorbei is, Meester, bin ick auf die Lunge wieder fit! Det Uniformklima lag nur drückend uff mir.«
»Zur Politik braucht man etwas Hirn, Franz.«
»Es hat schon jrößere Idioten als mir jejeben, die wurden jroße Tiere in der Politik. Aba det is et ja nich: In der Partei kann ick Freunde sammeln, Freunde für uns, Meester, Freunde gegen diese Runzenmanns und Hübners. Det is wichtig … Morjen meld ick mir an …«
Von diesem Tag an verkaufte Paskuleit mit besonderer Freundlichkeit die schönen Kämper-Schuhe an Bezugsscheininhaber und erhielt sogar vier Tage vor Weihnachten 1947, als die Not der Deutschen so groß war, daß ein amerikanischer Reporter in der ›New York Times‹ schrieb: »Selbst einem Dichter würden die Worte fehlen, das zu schildern, was in Germany geschieht …«, eine Sonderzuteilung von fünfzig Paar Schuhen. Ellerkrug lieferte per Expreß.
Nicht nur in Leverkusen, bis nach Köln und Düsseldorf sprach man von Julius Paskuleit. Runzenmann – so erfuhr man – hatten dagegen empörte Schuhkäufer Prügel angedroht.
»Ich habe Angst –« sagte Erna Kurowski einen Tag vor Heiligabend. »Sie werden das nicht einfach hinnehmen. Sie nennen es Provokation. Sie werden irgend etwas machen.«
»Sollen sie kommen!« sagte Paskuleit verbissen. »Ich beuge mich keinem Terror, schon gar nicht dem Terror dieser Lumpen, die den kleinen Mann betrügen und horten und horten und horten …« Er blickte auf die leeren Schuhregale, – die ›Westschuh‹ war ausverkauft. »Nach Weihnachten geht's erst richtig los! Ellerkrug hat mit Italien verhandelt – die Jungs aus dem Süden wollen einen Waggon voll Schuhe liefern. Weiß der Teufel, was Heinrich ihnen dafür geboten hat … Von der Sendung bekommen wir vierhundert Paar! Beim Wirtschaftsamt laufen schon die Anträge. Das macht alles Heinrich …«
»Du lügst schneller, als du Zwecken in die Sohle schlägst«, sagte Erna leise. »Und wenn du Heinrich mit Gold behängst … ich werde nicht weich. Das mit dem Wirtschaftsamt ist allein deine Sache.«
»Und von Franz.« Paskuleit lachte gemütlich. »Die Kerle von der ›Liberalen Fortschritts-Partei‹ haben ihn sofort in den Vorstand gewählt. Jetzt braucht er nur gegen geschlossene Türen zu blasen und zisch, – stehen sie offen! Unser Franz! Der lungenkranke Lulatsch! Im Januar will er seine erste Parteirede halten!«
»Himmel nochmal, kann er das denn?!«
»Ja. Keine Angst, Erna.« Paskuleit holte eine Pfeife aus der Tasche und steckte sie an. Er wirkte ungeheuer sicher und stark. »Ich werde ihm die Rede schreiben, – er braucht sie nur abzulesen. Und das kann er. Ich fürchte, Franz macht noch mal Karriere in der Politik. Fließendablesen können, ist nämlich ein Geheimnis erfolgreicher Politiker …«
Doch bevor Franz Busko seine Jungfernrede halten konnte, geschah etwas Furchtbares: Inge, jetzt sechs Jahre alt, kam am 10. Januar 1948 mittags nicht aus dem Kindergarten der ›Seligen Schwestern vom Blutenden Herzen‹ zurück. Erna Kurowski wartete bis zwei Uhr, lief dann zum Kindergarten, hörte von Schwester Sophia, daß Inge pünktlich mit ihrer Butterbrottrommel den Kindergarten verlassen habe. Da das Haus der ›Seligen Schwestern‹ nur drei Straßen weiter lag als Paskuleits Geschäft und Inge zur Selbständigkeit erzogen werden sollte, brachte sie keiner zum Kindergarten hin oder holte sie ab. Über ein halbes Jahr war das gutgegangen … bis jetzt, den 10. Januar 1948.
Ratlos, verzweifelt rannte Erna zum Geschäft zurück. Paskuleit, der seit fünf Tagen endlich einen Telefonanschluß besaß (Parteimann Franz Busko hatte der Postdirektion einen diskreten Wink gegeben), rief sofort die Polizeistation an, das Krankenhaus, die Unfallwagenstation. Überall die gleiche Auskunft: Uns liegt nichts vor. Ein
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