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Aus dem Überall

Aus dem Überall

Titel: Aus dem Überall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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darunter auch Erinnerungen an Meich –, gestattete sie sich nicht den Luxus, sie einfach hinauszuwerfen.
    Abgesehen von ihrer Arbeit mit den Sternkarten und dem Genuß einer Ruhe, die sie nie gekannt hatte, beschäftigte sie sich mit dem Wiederfinden und Aufschreiben von Worten, die ihr einst weise, treffend oder schön erschienen waren: Sprichwörter, Knittelverse, Gedichte, ein paar kurze Beschreibungen von Phänomenen auf der alten Erde, die noch niemand, den sie kannte, mit eigenen Augen gesehen hatte – einen klaren Sonnenaufgang, einen Wasserfall – die Namen einiger weniger Menschen, vor allem Frauen, die sie respektiert hatte. Mit Mühe stellte sie sogar einen kurzen Bericht über ein erschreckendes Ereignis zusammen – eine Sonnenfinsternis, die sie und die anderen Kinder hatten im Freien beobachten dürfen.
    Sie grübelte ohne Eile über praktische Dinge, zum Beispiel, ob der Sauerstoff, den sie aus dem Eisklumpen draußen gewinnen konnte, die Menge wieder aufwog, die sie verlor, wenn sie hinausging. Stille … ein gesegnetes Leben.
    Aber eines Tages kam eine Störung. Der einsam arbeitende Scanner im Bug begann zu piepsen. Zweifellos ein Gerätefehler; sie wollte den Apparat abschalten. Dann hielt sie inne. Vielleicht ein Signal für einen näherkommenden Felsbrocken; so wollte sie nicht sterben. Sie aktivierte einen zweiten Scanner. Zu ihrer Überraschung bestätigte er die Messung. Einen Augenblick lang packte sie die nackte Angst – ob die Menschen sie irgendwie verfolgt hatten?
    Sie schaltete noch einige Geräte ein, um sich zu vergewissern – und dann war sie so erstaunt, daß sie mit eigenen Augen hinausblickte, um die Teleskope einzustellen. Kein Fels, keine Rakete. Nicht klein, sondern riesig; vor und ein Stück über ihr trieb etwas in der Größe einer Welt – nein, beinahe wie eine Sonne. Trübes Lavendel, es glühte und hatte Ringe.
    Sie erschrak noch einmal, als ihr einfiel, daß sie womöglich im Kreis geflogen und zur Sonne zurückgekehrt war. Aber nein; die Scanner sagten ihr, daß der Körper vor ihr nicht zum Sonnensystem gehörte. Er war riesig, entnahm sie den Anzeigen, aber er hatte keine große Masse. Die Schwerkraft auf der Oberfläche war knapp unter jener der Erde. Der Körper leuchtete schwach aus sich selbst heraus – ein wundervoller, rosiger Ton, für den sie keinen Namen hatte.
    Und er war stark radioaktiv.
    Betrachtete sie einen toten oder sterbenden Stern? Vielleicht; aber dieser Körper paßte zu nichts, was sie über den Tod von Sternen gelernt hatte. Vielleicht kein toter Stern, senden knapp unterhalb der Grenze der Selbstzündung? Ein Stern, der langsam geboren wurde? Oder einer, der so bleiben mußte, der nie geboren werden würde?
    Ohne groß darüber nachzudenken, hatte sie automatisch den Schub eingeschaltet und eine Kurskorrektur eingegeben, die sie direkt zu diesem Körper bringen würde. Genauso automatisch bemerkte sie, daß der Brennstoffvorrat der Calgary so weit geschrumpft war, daß sie kaum noch genug Energie hatte, um ihre inzwischen gewaltige Geschwindigkeit abzubremsen und das Schiff in eine halbwegs vernünftige Umlaufbahn zu bringen. Sie zündete die Schubdüsen.
    Was tat sie? Plante sie unbewußt, zu sterben, indem sie auf dieses schweigende Geheimnis prallte? Oder wollte sie, wenn es eine Atmosphäre hatte, in der Reibungswärme beim Absturz gebraten werden? Das war nicht der stille Tod, den sie beabsichtigt hatte, der Tod zwischen den ewigen Sternen.
    Aber sie mußte näher heran. Sie mußte heran und es sehen, sie mußte es in einem engen Orbit umkreisen, und wenn sie dabei verglühte.
    Sie verlor jedes Zeitgefühl, als das Geheimnis vor den Bullaugen mit erschreckender Geschwindigkeit größer wurde und sich von einem trüben, fernen Punkt zu einer Scheibe entwickelte, die immer näher und immer größer vor die Bullaugen rückte. Sie stellte immer wieder den Gegenschub ein und versuchte, die Calgary mit der Kraft ihrer Gedanken abzubremsen, als könnte ihr bloßer Wille die Gesetze der Physik beeinflussen.
    Schließlich kam der Augenblick, als sie gegenüber der gewaltigen Oberfläche praktisch auf dem Kopf stand. Sie verwendete abermals eine winzige Menge der kostbaren Energie, um die Ausrichtung der Calgary nach und nach zu verändern. Einem plötzlichen Impuls folgend, zog sie den Schutzanzug an, ließ aber die Gesichtsplatte auf und schnallte sich auf dem Pilotensitz an. Es war völlig sinnlos, denn sie konnte nichts gegen die

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