Aus dem Überall
gewaltige Fallbeschleunigung tun. Dennoch ging sie hin und wieder auf Gegenschub und versuchte, die Schubstöße genau zu dosieren. Sie widerstand der Versuchung, den ganzen unersetzlichen Brennstoff auf einmal durch die Düsen zu jagen. Sie wand sich in den Gurten und wollte die Calgary mit lautem Flehen dazu bringen, langsamer zu werden – langsamer – langsamer …
Und das Glück oder etwas, das eigentlich nicht existieren durfte, war auf ihrer Seite. Sie bewegte sich immer noch hoffnungslos schnell, aber die Calgary schien mehr Geschwindigkeit verloren zu haben, als die Computerberechnungen für möglich gehalten hatten. Das Ding mußte kaputt sein; sie übernahm selbst die Kontrolle und erreichte gegen alle Wahrscheinlichkeit mit knapper Not eine Art Orbit, der über dem Äquator zu verlaufen schien.
Sie konnte jetzt die Oberfläche sehen – eine glatte, weich glühende und gewellte Decke, die sich schnell bewegte. Die Sensoren sagten ihr, daß es Wolken waren. Zweihundert Kilometer darunter lag der solide Kern, der teilweise flüssig zu sein schien. CP erwartete höchstens Stickstoff und Methan, aber sie blickte kurz zum Spektroskop – und beugte sich hastig vor, um die Reserveinstrumente einzuschalten.
Die Anzeigen waren dieselben!
Diese Wolkendecke bestand aus Sauerstoff und Wasserstoff – Wasserdampf. Und die Atmosphäre darunter bestand aus Stickstoff mit 25 Prozent Sauerstoff. Es war eine erdähnliche Atmosphäre.
Sie machte rasch die Tests für verschiedene Gifte; es gab keine. Es war eine präindustrielle Vorkriegsatmosphäre, wie CP sie auf der Erde noch nie geatmet hatte!
Abgesehen natürlich von der schrecklichen Radioaktivität, die anscheinend vom Boden stammte. Sie oder ein anderes Erdenwesen würde dort rasch sterben. Auf dieser Welt zu wandeln und ihre süße Luft zu atmen, bedeutete den Tod. Innerhalb weniger Tage, vielleicht schon nach Stunden.
Ihre Umlaufbahn führte sie noch näher heran. Die sichtbaren Wolken waren jetzt nur noch ein paar tausend Kilometer unter ihr. Bald würde sie auf die oberen Atmosphäreschichten treffen – sie würde aufprallen wie ein Stein, der flach übers Wasser geworfen wird, und vielleicht würde die Calgary zerbrechen, ehe sie in Flammen aufging. Die alten Leitwerke des Schiffs, für die Marsatmosphäre entworfen, waren schon lange verrostet. Langsamer, langsamer, flehte sie und gab ein letztes Mal vollen Schub. Vor ihrem inneren Auge entstand ein lebhaftes Bild ihres Untergangs, der bei dieser Geschwindigkeit unausweichlich war. Sie hatte nur noch wenige Augenblicke zu leben – aber sie war zufrieden, frei zu sein und diese wundervolle Welt gefunden zu haben.
Viel zu spät fiel ihr ein, daß Dons Kapsel noch mit dem Mutterschiff verbunden war. Sie pumpte den Treibstoff der Kapsel in zwei Bremsdüsen der Calgary zurück, die vom Reaktor unabhängig waren. Langsam, langsam! befahl sie lautlos und löste den Schubstoß aus.
Der kleine Gegenschub schien sie etwas abzubremsen. Sie achtete nicht mehr auf die Instrumente, die nur ihren Tod voraussagten, sondern beobachtete die Wolken, die unter ihr aufrissen. Langsamer, langsamer! Sie warf sich so heftig zurück, daß der Ruck schmerzte, und bildete sich ein, die tödlichen Wolken rasten eine Winzigkeit langsamer vorbei. Die Atmosphäre, die sie töten würde, reichte natürlich weit über die Wolken hinaus. Sie war bereits eingetaucht, und der Molekülzähler färbte sich rot.
Und dann, als sie bemerkte, daß sie über ›Land‹ war, schien die Calgary tatsächlich unverkennbar abzubremsen. Die Wolken drunten verwandelten sich von einem gestaltlosen Strom zu unterscheidbaren, hellen und dunklen Umrissen. Sie war natürlich immer noch viel zu schnell; aber es war, als glitte sie im Gegensinn durch den Zug eines unsichtbaren Feldes. Vielleicht eine Auswirkung der dichteren Moleküle um sie her? Aber die Calgary heizte sich nicht auf. Da war eine völlig unbekannte Energie am Werk. Was auch immer es war, sie brauchte mehr davon. Langsamer, viel langsamer, dachte sie verzweifelt.
Und die Calgary wurde langsamer.
Welches Geheimnis half ihr, die Geschwindigkeit abzubremsen? Es mußte physikalisch erklärbar sein. Aber CP, die mit einem Teil ihres Bewußtseins wußte, daß sie durchgedreht war, gab sich der Überzeugung hin, daß dies kein unpersönliches ›Feld‹ war. Sie wußte, daß es auf irgendeine Art mit ihrer Not verbunden war und damit, daß sie so intensiv an ihr Bedürfnis dachte und es
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