Aus dem Überall
›ausstrahlte‹. Verrückt war sie. Aber etwas half ihr, langsamer zu werden.
Vielleicht bin ich schon tot, dachte sie. Oder sie würde, mit Drogen betäubt und gefesselt, im Gefängnis der Raumbasis erwachen. Was machte das schon? Sie hatte die Machtsphäre ihres Reiches erreicht und wurde endlich gerettet.
Immer wieder ›zeigte‹ sie dem Unbekannten ihre Bedürfnisse, ihre Verletzlichkeit, den nahenden schrecklichen Aufschlag, während sie die letzten Reserven aus dem fast leeren Reaktor holte; er schien sich in der Ruhezeit ein wenig erholt zu haben.
Und die Calgary wurde langsamer, immer langsamer, als flöge sie durch unsichtbare, kalte Melasse – so daß sie mit kaum mehr als Schallgeschwindigkeit in die dichteren Schichten der Atmosphäre eintauchte. Ein Wunder. Es gab keinen erschütternden Aufprall, nur einige lose Gegenstände klapperten, und kaum Hitzeentwicklung. Und dann flogen die ersten Ausläufer der Wolken an den Fenstern vorbei.
Es war so schön, daß sie laut lachen mußte – das lavendelblaue Strömen vor der sternenübersäten Nacht. Einen Augenblick lang suchte sie den Schatten der Calgary, aber dann hielt sie sich zurück und lachte wieder; diese Welt hatte keine Sonne, es konnte hier keine Schatten vom Himmel geben – das ganze Licht kam von unten, von drinnen.
Und dann war sie in Wolken gehüllt und hatte nur noch ihre Instrumente. Die Calgary schoß hinab, und ihr schiefer Orbit verwandelte sich in einen Absturz. Ihr fiel ein, daß ihr jetzt die Stummelflügel helfen konnten. Würden sie sich ausfahren lassen, und, wenn ja, würden sie der Belastung standhalten? Sie dachte an ein anderes Leben, in dem ein verrückter Captain unbedingt die Calgary von außen untersuchen wollte, sogar die alten, nie benutzten Flügel, weil er meinte, sie müßten nachgesehen werden, damit sie richtig funktionierten. Seltsam.
Sie aktivierte die Servomotoren und zog mit aller Kraft an der Handsteuerung. Es stöhnte und knirschte – und die Deltaflügel kamen aus den Schlitzen und entfalteten sich in der fremden Luft. Die Calgary wurde wieder etwas langsamer und begann zu rollen. CP dankte dem Schicksal, daß sie sich auf dem Platz angeschnallt hatte, von dem aus sie die alten Flugkontrollen erreichen konnte. Nun zahlten sich ihre Flugstunden auf der Erde aus; bald hatte sie die Calgary unter Kontrolle und glitt steil nach unten. Die Flügel vibrierten heftig, aber sie hielten selbst bei dieser hohen Geschwindigkeit.
Hinunter, hinunter durch zweihundert Kilometer dicke, heller werdende Wolken. Bis sie schließlich durch die unterste Schicht brach und – ja, es war ein Ozean, den sie sah. Der Ozean glänzte. Sie blickte nach oben und sah die Wolkendecke, dunkelblau und kryptongrün beleuchtet.
Im nächsten Augenblick war sie über Land, viel zu hoch, um etwas anderes außer leuchtenden Farbflecken zu erkennen. Glühendes Orange, rauchiges Türkis, strahlendes Beige und Rot, reiche purpurne Schattierungen und Umrisse hier und dort; eine abwechslungsreiche Landschaft, schreckliche Illusionen von Besiedlung. Über ihr reflektierte die dichte Wolkendecke das vielfältige Strahlen wie ein gewaltiges Buntglasfenster.
Dann begann wieder das Meer, diesmal viel näher. Sie konnte eine blaßgrün leuchtende, V-förmige Bucht einer kleinen Insel erkennen. Die Oberfläche schien, von langen, glatten Wellen abgesehen, sehr ruhig. Weitere Inseln tauchten auf – eine ganze Inselgruppe? Nein, Moment, bewegte sich da etwas? Unmöglich. Sie strengte die Augen an – und plötzlich gab es keinen Zweifel mehr. Zwanzig oder dreißig Dinge bewegten sich in diesem V, jedes seiner eigenen Richtung folgend.
Leben.
Leben! Mythische Tiere wie Wale? Oder war es ein warmer, flacher, tümpelähnlicher Ozean, in dem sich gewaltige Tiere aalten? Tiere wie die ausgestorbenen Saurier der Erde? Oder – sie wagte gar nicht, daran zu denken – oder waren es etwa Schiffe? Wie auch immer, Minuten vor ihrem Tod hatte sie das erste außerirdische Leben gefunden, das je ein Mensch gesehen hatte – auf einem dunklen Körper, der beinahe eine Sonne geworden wäre.
Sie betete laut, langsam genug zu werden, um dieses Wunder genauer zu betrachten. Sie betete zu der unbekannten Macht, die ihr geholfen hatte, und schickte ihr verzweifelte, grelle Bilder von Trümmern, Explosion und Tod, sie sandte ihre Angst vor dem kommenden Aufprall – so würde es kommen, wenn die Calgary nicht langsamer würde und wohlbehalten landete. Sie hatte
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