Aus dem Überall
ins eiskalte Vakuum, in die Leere und in den Tod. Treibstoff verschwenden, um einer irrsinnigen Täuschung zu folgen? Einer Täuschung, die, wie sie genau wußte, aus einem ganz menschlichen Bedürfnis nach Geborgenheit entstanden war, aus Zurückweisung und Schmerz?
Aber wenn vor ihr nichts lag, dann spielte doch auch der Treibstoffverbrauch keine Rolle mehr.
Langsam, beinahe amüsiert über sich selbst, gab sie nach. Sie spielte mit den Schlüsseln für die Antriebsdüsen und sah immer wieder zum Bildschirm. Wohin? Wohin soll ich kommen? Zeig es mir. Sie schloß die Augen bis auf einen winzigen Schlitz und fühlte in sich hinein. Wohin? Wohin?
Und wie im Traum, aber völlig klar, kam die Antwort: Dort. Dort!
Unsinn, sagte sie sich wütend und hätte sich fast abgewandt.
Aber der Vektor stand beharrlich und deutlich vor ihrem inneren Auge. Sie schaltete die höchste Vergrößerung ein und suchte alle Wellenlängen nach Strahlung ab. Dort war absolut nichts.
»Komm!« seufzte die Stimme in ihrem Kopf. »Komm! Ich habe so lange gewartet.«
»Der Tod ruft«, murmelte sie heiser. Aber die Wahrheit war, daß sie keine Ruhe finden würde, solange sie die Calgary nicht in diese Richtung drehte.
Vorsichtig und zögernd machte sie sich an die Kurskorrektur ins Nichts. Sie schaltete die Triebwerke ein. Es war nur ein kurzer Schub, sie hatte wie gewöhnlich sehr genau gerechnet. Die Calgary zitterte kaum wahrnehmbar, die Sterne krochen eine Winzigkeit zur Seite, dann stabilisierte sich das Schiff, ohne daß sie abbremsen mußte, und der Kurs wies direkt – dorthin.
Und das Reich starb.
Zum erstenmal, seit sie sich erinnern konnte, verstummte die Geschichte, die Stimme, die meist ein Gefühl war, in ihrem Kopf. Was war mit ihr geschehen? Was hatte sie zum Schweigen gebracht? Erschrocken und doch irgendwie ergeben sah sie sich um. Nichts hatte sich verändert. Sie war einfach weg. Es gab kein Reich, niemand, dem sie ›berichten‹ mußte, niemand. Sie war allein. Oder … oder doch nicht? Es spielte keine Rolle. Es war gut so. War sie nicht in gewisser Weise auch von der Stimme herumkommandiert worden? Nun war sie wirklich frei, und niemand konnte ihr etwas befehlen.
Sie kehrte zu ihrer stillen Routine zurück, starrte hinaus, beobachtete, benutzte das Teleskop und Analysatoren, um interessante Objekte zu untersuchen. Das Auge gefiel ihr von allen am besten. Sie fand in einem entlegenen Fach ein altes aber noch brauchbares, computerverstärktes Teleskop. Das Gerät war seit Jahren nicht mehr benutzt worden, denn niemand hatte Lust oder Zeit gehabt, sich Dinge anzusehen, die er sowieso nicht erreichen konnte. Zu ihrer Freude funktionierte der Apparat nach einigen kleineren Einstellungen. Sie brütete über Sternkarten, identifizierte Sternbilder und prägte sie sich ein. Auf eine seltsame Art war diese Beschäftigung über ihre persönliche Faszination hinaus nützlich.
Wenn sie alle Bullaugen benutzte, hatte sie ein Blickfeld von 360° und konnte das Universum in jeder Richtung untersuchen. Sie überprüfte, zumindest flüchtig, alle sichtbaren Sterne. Ein Gefühl, fast wie die altvertraute Stimme in ihrem Kopf, ermutigte sie. Gewohnheit, dachte sie. Ich projiziere meine eigene Freude auf mich selbst zurück.
Die Tage dehnten sich zu Wochen – sie achtete kaum auf die Zeit –, und sie empfand nur Beruhigung. Kleine Ereignisse: Eins der Pflanzentabletts, die sie angesetzt hatte, ging auf, das zweite blieb tot. Sie kratzte die letzten Samen zusammen und versuchte es noch einmal. Und sie bastelte eine Vorrichtung, eine Röhre, die von ihrem gewohnten Sitzplatz aus ihren Atem direkt zu den Tabletts brachte, die inzwischen schon unter CO2-Mangel litten. Die später zu erwartende Gaszunahme und der Verfall würden schnell kommen; sie installierte ein Meßgerät und schloß einen Alarmgeber an.
Seltsamerweise machte ihr die Aussicht, einfach an Sauerstoffmangel zu sterben, weniger Sorgen als die Gefahr, von ihren eigenen Abfällen vergiftet zu werden. Das war Unfug, weil ihr Wissen über Physiologie ihr sagte, daß ihr eigenes Kohlendioxid sie viel früher umbringen würde.
Trotz ihrer Behaglichkeit gab sie sich alle Mühe, so sparsam wie möglich zu sein. Es gab nur sehr wenig Möglichkeiten; vor allem ging es darum, den Abfallschacht möglichst wenig zu benutzen, denn dabei ging jedesmal Luft verloren. Selbst als sie einen ganzen Stapel zuvor übersehener Besitztümer der toten Männer zusammengetragen hatte –
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