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Aus dem Überall

Aus dem Überall

Titel: Aus dem Überall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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ist, wird von Jahr zu Jahr weniger. Es sieht wirklich so aus, als hätte der geheimnisvolle ›Engel‹ seine Arbeit gut gemacht und die ihm zur Verfügung stehende Technologie so eingesetzt, wie man es von einem Wesen seiner Art erwarten kann.
    Inzwischen ist wieder eine tiefe Ruhe in unser Leben eingekehrt. Der Geräuschpegel ist stark abgesunken und alles sieht danach aus, als würde langsam das Gras zurückkehren. In jeder Familie existiert nur ein Kind, das plärrt, um die Wagenschlüssel bittet oder alte Damen ärgert, sich um einen Job bewirbt oder unbedingt Medizin studieren will. In jedem Heim verbraucht außer den Eltern nur ein einziger Mensch Nahrung, Feuerholz, Benzin, Schuhsohlen oder Plastikspielzeug. Und zudem erhält jedes dieser Kinder die volle Aufmerksamkeit der Erwachsenen.
    Ein friedlicher Weg, wenn er so weitergeht. Happy Harry Joels tausend neugeplante Wohnungen wurden den Besitzern in halbfertigem Zustand übergeben, obwohl man im nachhinein gegen die Räumarbeit der Baumsägen nichts mehr unternehmen konnte.
    Und was Jolyone Schram angeht, die das alles in Bewegung gesetzt hat, so hat man ihr, da sie ein Einzelkind und mithin ständig wach war, eine Reihe guter Jobs angeboten. Sie verbringt eine Menge Zeit damit, bloß irgendwo herumzusitzen, die Luft einzuatmen und dem Wachsen der Natur zu lauschen. Ihre schreckliche Vision hat sich in Nichts aufgelöst, aber dennoch hat sie nie jemandem erzählt, was wirklich passierte. Die einzige Ausnahme machte sie bei mir, als ich sie eines Abends im Point-Lobos-Park traf und sie feststellte, daß ich harmlos bin.
    Wir saßen in der Nähe eines staubbedeckten Eukalyptusbusches und schauten hinab auf die Klippen, die im Mondschein von den Wassern des Pazifiks ertränkt wurden.
    »Es war einfach so«, sagte sie, »daß ich anfing, darüber nachzudenken. Nehmen wir zum Beispiel nur sechzehn Leute. Das macht acht Paare.«
    Und ich sah, daß sie noch immer an die Macht der Zahlen glaubte.
    »Sie werden Kinder haben. Aber nur eins davon wird jeweils zu einer bestimmten Zeit wach sein. Es wäre dann so, als hätte jedes Paar lediglich ein Kind. Und wenn dann die acht Kinder eines Tages heiraten, werden aus ihnen vier Paare. Und auch sie werden jeweils nur ein Kind haben, das wach ist. Das macht dann vier Kinder. Wenn sie erwachsen sind und heiraten, ergeben sie zwei Paare. Und zwei Kinder. Ich meine … sie halbieren sich bei jedemmal … aber das dauert natürlich eine sehr lange Zeit.«
    »Eine sehr lange Zeit«, stimmte ich ihr zu.
    »Aber wenn diese beiden Kinder erwachsen sein werden und einander heiraten, werden sie nur ein Kind haben. Ich meine, es wird nur als ein Kind zählen. Und das ist es.«
    »Es sieht ganz so aus.«
    Sie warf ihr Haar zurück. Im Schein des Mondes sah ich, daß sie die Stirn runzelte.
    »Natürlich gibt es Milliarden von Menschen, nicht nur sechzehn, und deswegen wird es wirklich eine lange Zeit in Anspruch nehmen. Und vielleicht stimmt ja irgend etwas an dieser Idee gar nicht. Ich meine, nichts spricht dagegen, daß die Schläfer eines Tages alle wieder erwachen. Aber … Ich frage mich, ob dieses … Wesen, mit dem ich sprach, darüber nachgedacht hat?«
    »Das kann man nie genau wissen.«
    Das Meer rauschte und glitzerte friedlich und wälzte sich schäumend in langen, leuchtenden Kurven an den Klippen entlang. Nirgendwo entdeckte man die Anzeichen einer Öllache. Die wenigen Abfälle, die am Strand lagen, waren beinahe nicht wahrnehmbar, und der hinter uns liegende Highway war ungewöhnlich ruhig.
    Jolyone saß da, hatte das Kinn auf die Spitzen ihrer Knie gelegt und starrte auf die See hinaus. »Vielleicht wird dieses … Wesen eines Tages auch zurückkehren und alles wieder rückgängig machen. Oder vielleicht sollte ich den Leuten alles erzählen und versuchen, irgendwie mit ihm Kontakt aufzunehmen.«
    »Wüßtest du eine Methode dazu?«
    »Nein.«
    »Es wird noch eine Menge Zeit für alle möglichen Leute da sein, um sich darüber Gedanken zu machen«, entgegnete ich.
    Wir saßen eine Weile schweigend da. Schließlich stieß Joylone einen leisen Seufzer aus, legte sich ins Gras und reckte sich. Ein eigentümliches, verschlossenes, sanftes Mädchen.
    »Komisch … Ich fühle mich, als würde ich überlaufen. Es ist ein herrliches Gefühl, zu sein. Vielleicht sollte ich mich ganz einfach daran gewöhnen und Freude empfinden.«
    »Warum nicht?«
    Und das war genau das, was sie auch tat.
     
     
    Originaltitel:

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