Aus dem Überall
zurück!«
Aber sie drehte sich nicht um, und er konnte sie nicht einholen. Das weiße Tier befand sich jetzt in der schimmernden Helle; er sah, wie es auf einen großen Müllberg sprang, der sonnengolden und mondsilbern flirrte. Pfirsichdiebins dunkle Gestalt jagte hinter dem Geschöpf drein, ohne auf die Gefahr zu achten: Das Tier tat erneut einen Sprung. Jakko sah, wie sie folgte, und bitterte Furcht umkrampfte sein Herz. Ihre Menschenkraft treibt sie in den Tod, dachte er. Ich muß zu ihr, ich muß sie herausholen! Er zwang seine Beine, immer schneller zu laufen, und merkte nicht, daß sich auch um ihn die Luft veränderte.
Pfirsichdiebin verschwand einen Moment lang in einem Schleier glitzernder Luft und tauchte dann wieder auf, immer noch auf der Spur des Milchtieres. Dankbar sah er, wie sie stehenblieb und etwas aufhob. Sie ging jetzt, er konnte sie noch einholen! Aber sein eigener Körper bewegte sich träge. Es kostete seine ganze Willenskraft, ein Bein vor das andere zu setzen.
»Pfirsichdiebin – Liebes, komm zurück.«
Die silbrige Luft schien seine Stimme zu dämpfen. Entsetzt merkte er, daß er die Schritte verzögerte. Ein Schleier trennte sie von ihm.
Als er sich durch den Glanz kämpfte, sah er sie ganz langsam dem weißen Tier folgen. Ihr Gesicht war nach oben gewandt, unirdisches Licht umspielte ihre Schönheit. Er wußte, daß sie die Verlockung, den Sog des unsterblichen Lebens spürte. Ihm ging es nicht anders; er kam kaum noch vom Fleck, eine entsetzliche Heiterkeit durchflutete sein Herz. Sie wanderten der Flußmitte zu, dorthin, wo die Strömung am stärksten war.
»Liebstes …« Der Schmerz der Sterblichen bekämpfte die eindringende Transzendenz. Das Mädchen vor ihm verschmolz allmählich mit den flimmernden Schleiern, folgte immer noch seinem letzten Erdenwunsch. Er sah, daß die Menschheit, alles was er je auf der herrlichen Erde geliebt hatte, für immer aus der Realität entschwand. Warum hatte sie das alles in ihm geweckt, wenn er sie jetzt wieder verlor? Geisterstimmen umgaben ihn, aber er wollte keine Geister. Eine verzweifelte Klage um das Erdenleben stieg in ihm auf, ein letzter Schmerz, den er mit sich durch die Ewigkeit tragen würde. Aber die Schärfe fiel ab. Die materielose Unsterblichkeit hüllte ihn nun ein, erfaßte ihn wie sie. Sein Fleisch, sein Körper begann sich aufzulösen, einzufließen in den großen Bewußtseinsstrom, der auf geheimnisvollen Wegen durch das All wanderte.
Immer noch zog sein Erden-Ich hinter dem ihren in die Nebel der Unendlichkeit, die sich verdichteten, und es prägte dem Strom eine Konfiguration auf: ein Mann, in alle Ewigkeit voller Sehnsucht nach dem geliebten dunklen Mädchen, das ein gespenstisch weißes Milchtier verfolgte.
Originaltitel: »Slow Music«
Copyright © 1980 by James Tiptree, Jr.
(erstmals veröffentlicht in »Interfaces«,
hrsg. von Ursula K. Le Guin & Virginia Kidd, Ace 1980)
Copyright © 1985 der deutschen Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag GmbH &Co. KG, München
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Birgit Reß-Bohusch
Eine Quelle unschuldiger Freude
(A SOURCE OF INNOCENT MERRIMENT)
Ah! Was bewirkt der rationale Geist
und was das offizielle Wort
gegen das Ereignis selbst,
wie es in Wirklichkeit geschah?
(Verzeihung, R. KIPLING)
Seine Augen blickten nicht wie Adleraugen, seine Haut war nicht vom Licht fremder Sonnen gebräunt. Wie die meisten Sternenforscher war er ein kleiner, farbloser, ganz gewöhnlicher Mann, gedrungen und beweglich, der langsam einen Bauch ansetzte. Auch sein Gesicht schien mir aus der Ferne, nachdem man ihn mir gezeigt hatte, ganz durchschnittlich: jungenhaft und etwas mürrisch. Er saß allein. Als ich durch den Dunst und die Scheinwerfer in Hals’s Kneipe zu ihm ging, blickte er auf, und trotz des düsteren Lichts waren seine Augen verblüffend blau.
»Darf ich mich einen Augenblick zu Ihnen setzen?« Er wollte Nein sagen, dann musterte er mich. Ich bin nicht mehr jung, und Miss Universum bin ich schon gar nicht, aber ich habe ein ganz gefälliges Lächeln. Er zuckte die Achseln. »Wie Sie wollen.« Ich setzte mich verunsichert; ich mußte vorsichtig sein. Es war eindeutig nicht die richtige Situation, um zu erwähnen, daß ich für GalNews arbeitete. Nach einem, wie ich hoffte, entspannten Schweigen erklärte ich, daß ich Historikerin sei – was sogar stimmt.
»Ich sammle Daten, die für immer verloren sein werden, wenn sie jetzt nicht jemand aufzeichnet. Die
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