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Aus dem Überall

Aus dem Überall

Titel: Aus dem Überall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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habe Angst. Ich habe solche Angst, daß dich der Fluß einfängt.«
    »Bestimmt nicht. Ich werde gut achtgeben.«
    »Ich habe solche Angst.« Aber sie begleitete ihn weiter und zog das Milchtier am Gürtel mit. Als sie an dem Geistergeschöpf vorbeikamen, rief ihm Pfirsichdiebin zu: »So kannst du nicht leben! Geh lieber in den Fluß! Los – schsch!«
    Es drehte sich um und wanderte über die Abfallberge langsam auf das Schimmern der Luft zu.
    Auch sie näherten sich jetzt der Sammelstelle. Immer häufiger mußten sie über verlassene Gegenstände klettern. Pfirsichdiebin beäugte die einzelnen Dinge scharf; einmal bückte sie sich, hob einen weichen, weißen Stofflappen auf und stopfte ihn in ihren Rucksack. Sie erreichten einen langgestreckten Hang, der verhältnismäßig frei von Abfällen war und zur glitzernden Luftsäule hin abfiel. Sie wanderten über das Gras.
    Das Flußauge wurde immer furchteinflößender, je näher sie kamen. Sie konnten jetzt erkennen, daß es in die Höhe führte, bis an den Rand des Himmels, und dort einen leichten Knick machte. Ein Tentakel jenes materielosen Erkenntnis-Stroms, das die Erde umfangen hielt – ein Pfad zur Unsterblichkeit. Die Luft im Innern der Säule sah jetzt nicht mehr golden aus, sondern blaßsilbern wie ein breiter Strahl Mondlicht, der durch den Morgenhimmel in die Tiefe sickert. Die Gegenstände ringsum wirkten sehr klar, schimmerten aber, als seien sie von einem Mantel kalten Kristallwassers umgeben.
    An einer Seite erhob sich eine Zeltreihe. Jakko erkannte plötzlich eines der Zelte und beschleunigte seine Schritte. Pfirsichdiebin zerrte ihn zurück.
    »Jakko, sei vorsichtig!«
    Sie blieben etwa hundert Meter von den kaum wahrnehmbaren Ausläufern der Flußsäule entfernt stehen. Am Rande des flimmernden Kreises war ein Stab in den Boden gerammt. Ein Schal aus grüngelber Seide flatterte daran.
    »Schau – das ist das Zeichen meines Vaters!«
    »Oh, Jakko, du kannst dort nicht hingehen!«
    Bei dem vertrauten Gegenstand stürmte unvermittelt die Erinnerung an seine Eltern und seine Familie auf Jakko ein. An ihre ruhige Vernunft, an die feierliche Vorbereitung auf das Leben in der Ewigkeit, fern von der Erde. Zwei Wirklichkeiten kämpften für kurze Zeit in seinem Innern. Sie hatten ihn geliebt, dessen wurde er sich in diesem Moment bewußt. Besonders sein Vater … Aber nicht so, wie er Pfirsichdiebin liebte, schrie sein neu erwachter Geist lautlos. Ich bin aus Erde! Sollen die Sterne sich um ihresgleichen kümmern! Sein Entschluß wuchs und siegte.
    Sanft löste er sich aus ihrem Griff.
    »Warte hier! Mach dir keine Sorgen, es dauert lange, bis die Veränderung eintritt, das weißt du! Stunden, Tage. Ich bleibe nur eine Minute und komme dann zurück.«
    »Oh, das ist alles Wahnsinn!«
    Aber sie ließ ihn gehen und hielt das Milchtier fest, während er den Hang hinunterwanderte und sich einen Weg über den Abfall zu dem im Boden eingepflanzten Stab bahnte. Beim Näherkommen spürte er, wie sich die Luft ringsum veränderte, wie sie erwachte und doch stiller wurde als zuvor.
    »Vater! Paul! Ich bin es, Jakko, dein Sohn! Kannst du mich noch hören?«
    Keine Antwort kam. Er tat noch einen oder zwei Schritte auf den Stab zu und wiederholte seine Worte.
    Ein sanftes Echo drang in seine Schläfen, als hätten sich unirdische Reiche geöffnet. Aus der Ewigkeit spürte er die ruhige Stimme seines Vaters, ohne sie jedoch zu hören.
    Du bist gekommen!
    Das Gefühl einer schlichten, herzlosen Begrüßung.
    »Die Städte sind leer, Vater. Die Menschen sind fortgegangen – überall.«
    Komm!
    »Nein.« Er schluckte, wehrte die Erinnerungen ab, kämpfte gegen die Verlockung dieses fremden Ortes an. »Das alles weckt Trauer in mir. Es ist der falsche Weg. Ich habe eine Frau gefunden. Wir wollen bleiben und Kinder haben.
    Der Fluß verschwindet, Jakko, mein Sohn!
    Es war, als habe ein Stern seinen Namen gerufen, aber er blieb fest. »Das ist mir gleichgültig. Ich bleibe bei ihr. Leb wohl, Vater. Leb wohl!«
    Tiefes Bedauern berührte ihn, und aus dem Jenseits murmelten lautlose Stimmen: Komm! Komm! Fort von hier!
    »Nein!« schrie er, oder er versuchte zu schreien, aber es gelang ihm nicht, die entrückten Stimmen zum Schweigen zu bringen. Und als er nach oben starrte, spürte er plötzlich die Realität des Flusses, das lockende Portal zu einem ewigen Leben zwischen den Sternen. Alle Ängste des Sterblichen, die zutiefst im Innern verwurzelte Furcht vor dem lauernden Maul

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