Aus dem Überall
und brav war, blieben sie nie lange. Paula war sehr hübsch, zart, zerbrechlich, dunkelhaarig, und sie hatte noch immer dieselben großen blauen Augen, wie bei ihrer Geburt. Die Frauen, die zu den Parties kamen, verhätschelten sie. Aber da war etwas an diesem fragenden, starren Blick, das sie abschreckte. Anscheinend erging es den vielen Kinderschwestern und Au-pair-Mädchen, die Miss Emstead einstellte, nicht viel anders, auch der nicht, die von Paul einmal kurzfristig geheiratet wurde.
In dieser Zeit bekam er seine Tochter allerdings zum ersten Mal etwas häufiger zu Gesicht.
Es war in der Nacht, als es, zum erstenmal seit zwanzig Jahren, in San Juan schneite. Er und Frederika, die gegenwärtige Mrs. Marrell, kamen spät abends nach Hause, und sie ging gleich nach oben, um nach Paula zu sehen, und Paul blieb unten in den selten benutzten Räumen und wanderte auf und ab. Er bemerkte eine Terrassentür, die im Foyer offenstand. Als er sie zumachte, entdeckte er im hauchdünnen Schnee Fußabdrücke, die vom Haus fortführten. Er hatte als Kind oft im Wald gespielt und blieb automatisch stehen, um sie sich näher anzusehen; ein Paar spitzhackiger Frauenschuhe, frische Spuren von kleinen Sandalen und der schwache Abdruck winziger nackter Kinderfüße. Er erinnerte sich, daß Frederika Sandalen angehabt hatte. Sie war eines der Au-pair-Mädchen, die sich um Paula gekümmert hatte, bevor sie dazu übergegangen war, sich um Paul zu kümmern, eine große blonde Belgierin mit krausem Haar, die er für sanft und angenehm gehalten hatte, der er unbekannte Begabungen zugeschrieben hatte – letzteres völlig zu Recht.
Es war eine wunderbare Nacht, über der verrückten weißen Landschaft blinkten die Sterne und ein Halbmond am Himmel. Paul trat in den Garten, um den Spuren zu folgen.
Sie führten ihn über leere Beete und Rasenflächen geradewegs zu dem am Rand aufgeschütteten Erdwall, der zum Schutz des Hauses errichtet worden war. Von oben hörte er ein Gewirr hoher Stimmen, und weiter entfernt knurrte ein Hund, als würde er gewaltsam zurückgehalten. Plötzlich rief eine Kinderstimme laut: »Ich hasse dich. Ich hasse es dort.« Und danach ein scharfer harter Schlag, wie auf nacktes Fleisch, und danach Stille.
Paul kletterte den steilen Hang hinauf und fand dort seine Frau und die Kinderschwester, die neben einem kleinen Kind standen, das Paula sein mußte; sie hockte zusammengekauert am Boden, fast nackt, nur mit einem dünnen Nachthemd bekleidet.
»Was geht hier vor?«
»Sie hat Miss Trond angegriffen«, erklärte seine Frau aufgeregt.
»Sie schleicht sich immer mitten in der Nacht davon!« Miss Trond zog ihre Schwesterntracht glatt, sie hatte einen bemitleidenswert deutschen Akzent.
»Das ist wahr – das hat sie bei mir und den anderen Mädchen vor mir auch immer getan«, bestätigte Frederika. »Sie hat uns zu Tode erschreckt.«
Aber damit kam sie bei Paul nicht an, vor allem nicht, als Paula den Kopf hob und ihren Vater flehend anblickte, und auf ihrem Gesicht der deutliche Abdruck einer Hand zu erkennen war, sowie ein tiefer Kratzer von dem Ring. Und dahinter, im Schnee, der Abdruck des kleinen Kinderkörpers, auf dem Rücken liegend.
»Warum haben Sie sie geschlagen?« fragte er langsam. Das Kind schien plötzlich keineswegs mehr dasselbe Ungeheuer zu sein, das seine geliebte Frau auf dem Gewissen hatte. Eigentlich sah es überhaupt nicht wie ein Ungeheuer aus.
Die Frauen stotterten etwas von gefährlichen Hunden, und daß man nicht schlafen könne. Die großen Augen des Kindes ließen ihn keine Sekunde los.
Unsicher ging er zu Paula und streckte ihr seine Hand entgegen. Sie starrte ihn weiter an, dann ergriff sie seine Hand. Ihre Hand war kühl und winzig klein, wie von einem jungen Tier. Paul bückte sich und hob Paula hoch.
»Ihr könnt morgen zu Miss Emstead gehen und euch auszahlen lassen«, sagte Paul. Er nahm seine Tochter an die Hand und ging mit ihr die Böschung hinunter und weiter bis zu seiner früheren Junggesellenwohnung.
Paula war durchnäßt und zitterte am ganzen Körper, daher zog er ihr das dünne Hemd aus, trocknete sie ab und wickelte sie in seinen alten Kamelhaarmantel, dessen unteres Ende er durch die Kordel hochzog. Er kam keinen Augenblick auf die Idee, daß sich ein sechsjähriges Kind selbst anziehen könnte. Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie ein kleines nacktes Mädchen gesehen, und der zarte Körper versetzte ihn in Verwirrung.
Sie hielt die ganze Zeit völlig
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