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Aus dem Überall

Aus dem Überall

Titel: Aus dem Überall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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still, bis er sie hochhob und auf die Liege im Umkleideraum legte.
    »Alles in Ordnung, mein Kind?«
    »Ja, Sir. Vielen Dank«, sagte sie höflich. Dann richtete sie sich plötzlich auf und sprudelte heraus: »Ach, Daddy, könntest du mir, bitte, helfen?«
    »Helfen? Wie denn?«
    »Ich möchte mir deine Bücher in der Bibliothek ansehen! Sie wollen sie mir aber nicht geben, sie geben mir immer nur solchen Quatsch zu lesen. Ich tu doch deinen Büchern nichts, das würde ich niemals tun.«
    »Was willst du denn lesen?« fragte er völlig erstaunt.
    »Über Arithmetik«, erklärte sie zu seinem Erstaunen. »Und über die Sterne. Astro-no-mie.«
    »Natürlich kannst du das tun. Warum denn nicht? Du gehst einfach rein und nimmst dir, was du haben willst. Und du kannst bleiben, so lange du willst. Ich werde es Miss Emstead sagen. Sie soll dir was Leichtes, was für Anfänger, raussuchen.«
    Als er merkte, wie ihre Freude in Besorgnis umschlug, fügte er schnell hinzu: »Natürlich nur, wenn du willst.«
    Was hatte er da nur gezeugt? Jetzt erst, als er sie sich näher ansah, stellte er eine kleine Ähnlichkeit mit ihrer Mutter fest, aber sie erinnerte ihn irgendwie noch an jemand anders. Vielleicht an ihn selbst, als er noch ein Junge war?
    »Was hast du eigentlich gemacht, da draußen?«
    »Ich seh mir so gern die Sterne an. Aber ich kenne nur den Namen von einem Stern: Po-laris.« Beschämt senkte sie den Kopf. »Die sagen, das wäre un-natürlich.«
    Ah! Jetzt fiel es ihm ein – sein kleiner Bruder Harry, der mit acht bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Sie war eine kleinere Ausgabe von Harry. Harry hatte auch immer in den Himmel gestarrt, wenn er sich recht erinnerte. Hatten ihm die Götter etwa seinen kleinen Bruder zurückgegeben, ohne daß er es bemerkt hatte?
    »Nun, dagegen läßt sich nichts sagen. Das nächste Mal, wenn du rausgehen möchtest – mitten in der Nacht, egal wann –, dann rufst du einfach auf der Wache an, damit sie dir jemand schicken können. Das dauert keine fünf Minuten, bis einer da ist.«
    Wieder der betrübte Ausdruck auf dem kleinen Gesicht.
    »Was paßt dir denn daran nicht?«
    »Ach, gar nichts … es ist nur, daß ich lieber allein schaue.«
    Genau wie Harry!
    »Das läßt sich einrichten. Du sagst ihnen nur Bescheid, wenn du rausgehst, und wenn du wieder zurück bist, dann siehst du keine Menschenseele. Sonst fliegt er am nächsten Morgen raus.«
    »Ohhh … vielen Dank, Daddy! Ich meine, Sir. Vielen, vielen Dank.«
    »Du kannst ruhig Daddy sagen. Woher hast du denn dieses ›Sir‹?«
    »Das hast du doch gesagt, Sir. Ich meine, Daddy. Und du wolltest mich auch nie sehen.«
    Er konnte sich absolut nicht mehr erinnern. »Also, das hab ich bestimmt nicht so gemeint. Ich muß wohl … irgendwie verrückt gewesen sein. Aber das ist jetzt vorbei.«
    Ihr Gesicht strahlte vor Freude. Und dann, ganz plötzlich, wie bei einer Babypuppe, klappten die dichten dunklen Wimpern über ihre Augen, und sie war im Sitzen eingeschlafen und sank langsam nach hinten, in ein Kissen, das fast größer war als sie selbst. Er deckte sie zu und ging dann ins Bett, um über alles nachzudenken. Ihm fiel noch ein, daß er wegen Paulas Schulerziehung etwas unternehmen mußte – ein normaler Kindergarten kam offenbar nicht in Frage. Aber jetzt war er zu müde – es gelang ihm gerade noch, für Miss Emstead die Anweisung zu geben, einen guten Lehrer und eine neue Kinderschwester zu suchen und wieder einmal die Scheidungsanwälte in Gang zu setzen, dann schlief er auf der Stelle ein.
    Alle diese Dinge wurden zuverlässig erledigt, und in den nächsten Wochen und Monaten gewöhnte sich Paul allmählich daran, seine kleine Tochter irgendwo in einer Ecke in der Bibliothek zusammengerollt sitzen oder liegen und alles mögliche – vom Fachblatt für Astronomie über mathematische Abhandlungen bis hin zu alten Science Fiction-Comics – verschlingen zu sehen. Oder er sah sie draußen auf dem Erdwall entlanggehen – oder vielmehr laufen. Sie war immer noch zu klein für ihr Alter, aber der Arzt meinte, sie wäre völlig gesund und für ihr Körpergewicht ganz schön stark. »Ein regelrechter Gibbon«, sagte er. »Nur viel hübscher.«
    Seltsame Überlegungen gingen ihm durch den Kopf. Paula und ihre neue Kinderschwester gewöhnten sich daran, daß gelegentlich Lieferungen von Chez Niçoise eintrafen – riesige Platten mit allerlei köstlichen Leckereien – Filet Mignon, Austern, Hummern, die sie sich – vor

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