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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Beamtenhäuschen mit den üblichen zwei Birken an der Gartentüre, auch hier unterschied es sich nicht von den andern, deren kleinbürgerlichen Charakter es mit ihnen teilte. Seltsam kam es mir nur vor, daß mir ein Mädchen auf mein Klingeln hier die Haustüre öffnete. Es mochte nicht fünfzehn Jahre zählen und war von einer Frische, die den unangenehmen Eindruck des Flurs milderte, durch den es mich führte, der vom Boden bis zur Hälfte der Wand rotbraun und dann mit einem bläulichen Weiß angestrichen war. Vor einer Türe preßte es mich an seinen Leib und flüsterte Worte von einer erschreckenden Bedrohlichkeit in mein Ohr. Dann ließ es von mir und öffnete die Türe (auch die war von rotbrauner Farbe), so daß ich zurücktaumelte, weil das hereinbrechende Licht mich blendete, worauf ich nur allmählich ein mittelgroßes Zimmer wahrnahm, in das ich geführt wurde. In ihm waren geschmacklose Möbel, wie wir solche oft bei Menschen bemerken, die rasch zu einem großen Reichtum gelangt sind.
    Besonders war der starke und süßliche Duft widerlich, der über allem schwebte, doch wurde mein Blick nach der Mitte des Zimmers gezogen, in der sich die Gegenstände, diese kitschi-gen Kommoden und überladenen Büffets zu einer unförmigen Masse verdichteten. Es waren drei alte Weiber, die auf dünnen, verbogenen Rohrsesseln um ein rundes Tischchen saßen, auf dem sie Karten spielten und Tee aus chinesischen Tassen tranken, und noch jetzt werde ich von einem heftigen Ekel ergriffen, wenn ich mir diese Wesen vor Augen halte, als wäre ich gezwungen, an abenteuerliche Exkremente irgendwelcher Riesensaurier der Vorzeit zu denken. Ihre Lippen waren mit blauer Farbe geschminkt, aber es waren vor allem die hängenden Wangen, die meinen Abscheu erregten, die fettig glänzten.

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    Sie preßten die Köpfe eng aneinander, wodurch das Unförmige ihrer Erscheinung hervorgehoben wurde, welches noch durch die leichten Sommerkleider gesteigert wurde, die schlampig und von einem grellen Rot waren. Sie begrüßten mich mit einem formlosen Redeschwall, ohne von den Karten zu lassen und ohne aufzuhören, riesige Torten- und Kuchenstücke mit klebrigen Fingern in ihre Mäuler zu schieben. Indem ich ihren schmutzigen Worten aufmerksam und mißtrauisch folgte, wurde mir die Arbeit deutlich, die sie mir anboten. Ich vernahm, daß ich mich im Gefängnis der Stadt befand, dem die drei alten Weiber als Vertreter der Verwaltung zugeteilt waren, und daß ich hier meinen Dienst als Wärter beginnen konnte.
    Sie wiesen auf das Wesen der Bewachung hin, die sich im geheimen abzuspielen habe, so daß dieser Umstand es notwendig mache, den Wärter nicht von den Gefangenen zu unterscheiden; der Dienst sei schwer, doch freiwillig, und ich sei jederzeit in der Lage, auf mein Zimmer in der Stadt zu-rückzukehren. Das Angebot war günstig und ich nahm an. Sie ließen mir vom Mädchen die Kleider geben, die den Wärtern zukommen, doch schlugen sie meine Bitte ab, mich anderswo umkleiden zu dürfen, worauf ich mich der Anordnung unterziehen mußte und mich vor ihnen entkleidete. Es waren seltsame Kleider, die mir das Mädchen überreichte, auf die in allen Farben fremdartige Zeichen und Figuren gestickt waren, doch konnte ich mich in ihnen frei und ungehindert bewegen.
    Dann ließen die drei Alten plötzlich von mir ab. Sie schienen mich nicht mehr zu beachten und hatten sich wieder völlig dem Spiel, den Kuchen und ihrem Tee zugewandt, als mich das Mädchen aus dem Zimmer führte.

    Es war eine andere Türe, durch die wir den Raum verlassen haben mußten, denn ich befand mich nicht im Flur wie kurz zuvor, als ich das Haus betrat, sondern vor einer Treppe, die steil hinab führte. Obschon ich überrascht war, unterließ ich es 92

    nicht, das Mädchen nach meinem Zimmer zu fragen, doch antwortete es nicht, worauf ich ihm nach unten folgte. Nach kurzem Abstieg gelangten wir m einen kleinen viereckigen Kaum, der an einer Seite durch eine Flügeltüre begrenzt war, die aus Glas bestand, und in welchem sich ein hoher und schmaler Tisch mit halbverwelkten Geranien befand. Doch hielten wir uns nicht in diesem sinnlosen Räume auf, weil das Mädchen die Flügeltüre öffnete, die unverschlossen gewesen war. Es bot sich mir ein langer Korridor dar, der sehr schmal zu sein schien, doch täuschte dieser Eindruck, denn als ich mit dem Mädchen durch die blaue Dämmerung schritt, die ihn erfüllte, erwies er sich als sehr breit. Es führte mich zu einer schmalen

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