Aus den Papieren eines Wärters
Nische, in der sich eine Pritsche befand, wie ich tastend bemerkte, auf der ich Platz nahm. Ich sah dem Mädchen nach, das trällernd durch die Flügeltüre verschwand, wobei ich bemerkte, daß es die Türe unverschlossen gelassen hatte, da diese noch eine Zeitlang hin und her schwankte. Von der Pritsche aus konnte ich den Korridor übersehen, den ich um so besser betrachten konnte, als mich in der Nische eine undurchdringliche Finsternis umgab. Links von mir sah ich die Glastüre nur zur Hälfte, da ich den Kopf nicht aus der Nische zu strecken wagte. Sie war eine große Scheibe grünlicher Farbe, die durch das blaue Licht hervorgerufen wurde, welches von allen Seiten niederstrahlte. Am meisten beschäftigten mich die scheußlichen Figuren an den Wänden und der Decke, die nicht deutlich zu erkennen waren. Auch wurde ich auf eine Nische aufmerksam, die sich mir gegenüber in der anderen Wand des Korridors befand. Sie war von der gleichen hohen Form wie die meine und mündete ebenso in einen schmalen Bogen, von der selben Finsternis erfüllt, so daß die Nische als ein Fenster erschien, welches den Blick ins Leere gewährte.
Dies nahm dem Raum die Schwere, die sonst Gebieten unter der Erde wesentlich ist. Auch entdeckte ich nach längerer Übung zwischen ihr und der Glastüre eine andere Nische von 93
gleicher Gestalt und in entgegengesetzter Richtung unterschied ich fünf weitere mit Sicherheit. Tiefer vermochte mein Auge nicht zu dringen, denn die Formen verwischten sich, auch nahm dort das blaue Licht das Wesen eines dichten Nebels an.
Indem ich den Gang aufmerksam beobachtete, wurde ich darüber in Unruhe versetzt, daß niemand kam, mich in meine Aufgabe einzuführen (die doch schwer sein sollte), doch wagte ich nur allmählich, meine Lage zu überdenken. Daher kam der Gedanke als eine Erlösung, meine Nische sei das Versteck des Wärters, so daß es überflüssig sei, mich in etwas einführen zu lassen, welches sich von selbst so mächtig aufdränge. Es wurde mir klar, daß der Gang zu den Zellen der Gefangenen führen mußte, und daß nur seine außergewöhnliche Anlage mich verführt hatte, am Sinn des Ganzen zu zweifeln. Ich erkannte mit nicht geringem Stolz, daß mir die Verwaltung den entscheidenden Posten beim Ausgang zugewiesen hatte, eine Schlüsselstellung, in welcher sie nur einen ganzen Mann brauchen konnte, war doch die Glastüre offengelassen worden, ein Zeichen des unbegrenzten Vertrauens, welches meinen Fähigkeiten entgegengebracht wurde. Doch machte ich gleich darauf eine Entdeckung. Ich spürte, daß ich beobachtet wurde.
Es war nicht so, daß ich ein Geräusch vernommen oder jemanden gesehen hätte, es war das unmittelbare Wissen der Wahrheit, welches keiner Mittel und keiner Beweise bedarf. Es wurde mir bewußt, daß in der Nische vor mir ein Mensch saß, der mich mit weit aufgerissenen Augen regungslos anstarrte.
Es war mir unmöglich, die Nacht zu durchdringen, die mich umgab, doch war es gewiß, daß er dorthin starrte, wo er meinen Aufenthalt vermutete, denn er mußte von meinem Dasein wissen, da er mich ja hatte kommen sehen. Ich blickte nach dem Spalt vor mir, der leer war und dunkel, in welchem er auf einer Pritsche sitzen mußte wie ich, in der gleichen angespannten Stellung, mit dem gleichen angehaltenen Atem.
Ich fühlte ihn mit den Augen und tastete in Gedanken sein 94
bleiches, unsichtbares Antlitz ab mit den zusammengepreßten Lippen, den Rillen der Haut und den Höhlen, in denen die Angst nistete (da er nicht wußte, daß ich ohne Waffe war). Ich erkannte, ohne zu sehen, daß in allen Nischen Menschen saßen, umhüllt vom Schweigen der blauen Nacht dieser Grotte, Gefangene, Verbrecher, Rebellen (vielleicht war auch der Kohlenträger einer von ihnen), die gebannt nach meiner Nische starrten, von der sie wußten, daß sich dort ihr Wärter befand, den sie fürchteten, und diese Furcht erfüllte alles wie ein lähmendes Gift. Es erfaßte mich eine wilde Freude, die einem jähen Gefühl unermeßlicher Macht entsprang, die mich zum Gott der Kreaturen machte, die vor mir in ihren Nischen zitterten. Mich überkam die Lust, durch den Korridor zu schreiten, damit alle mich sähen, und ewig so zu schreiten, auf und ab, ohne Pause, mit gleichmäßigen Schritten, an jenen vorbei, die in ihren Nischen kauerten, wie gefangene Tiere, eingesperrt in ihre Käfige, die Hände in die Strohmatratzen der erbärmlichen Pritschen verkrallt, auf denen sie saßen. O, ich wollte sie zähmen!
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