Aus der Asche - Silvanubis #2 (German Edition)
Sicherheit war.
»Aber Alexander ist drüben«, antwortete sie leise, biss sich auf die Lippe und schluckte die Tränen hinunter. Sie fühlte sich müde, ausgelaugt und ihr Kopf schien nicht mehr groß genug zu sein für die Fülle an Informationen, die er heute verarbeiten musste. Anna strich sich eine lose Haarsträhne hinters Ohr, bevor sie den Rücken durchstreckte und tief ausatmete.
»Edmund de Fortitudo also?« Anna schielte zu dem athletischen Okeaniden hinüber. »De Fortitudo. Hört sich an wie ein altes Adelsgeschlecht. Ich wusste nicht, dass es so etwas wie Nachnamen gibt in Silvanubis.«
Edmund schmunzelte und schob das Fahrrad an. »Es gibt noch vieles, was du nicht weißt, Anna. Natürlich haben alle Nachnamen. Erin Sapiens zum Beispiel. Wie dir bekannt ist, haben viele Ausdrücke in Silvanubis einen lateinischen Ursprung. Fortitudo bedeutet Stärke oder Tapferkeit.«
Anna grinste schwach und betrachtete den großen, starken Mann an ihrer Seite. Das passte.
»Und Sapiens? Weise?« Das Grinsen wurde breiter. »Ich weiß nicht so recht. Vielleicht sollte man Erin hin und wieder an die Bedeutung ihres Nachnamens erinnern.«
Edmund blieb stehen und lachte laut auf.
»Wo du recht hast, Anna … Die meisten Familien stammen aus uralten Geschlechtern Silvanubis’. Irgendwann einmal hat jemand ihren Namen gewählt, weil er eine besondere Bedeutung hat. Wenn allerdings jemand so wie du oder Alexander sich entscheidet, in Silvanubis zu bleiben, dann wird der alte Nachname abgelegt. In der Regel sucht jemand den Namen für die Neuankömmlinge aus.«
Anna runzelte die Stirn. Vielleicht hätte sie doch nicht fragen sollen. Zu viele Informationen. Sie rieb sich die Schläfen. »Wenn die Nachnamen eine besondere Bedeutung haben, Edmund, ist das bei Orten genauso? Calliditas — ein merkwürdiger Name für eine Stadt.«
Edmund nickte. »Allerdings passend für das Volk der Najaden. Calliditas bedeutet Schlauheit. Dort, wo ich herkomme, gibt es auch einen solchen Ort. Robur.« Edmund hielt inne und seufzte.
»Fehlt es dir?«, fragte Anna leise.
Edmund senkte kurz den Blick und schüttelte den Kopf. »Ein bisschen vielleicht …« Er räusperte sich und fuhr entschieden fort. »Robur passt ebenfalls zu seinen Bewohnern, den Okeaniden. Es bedeutet Kraft oder Stärke.«
»Edmund de Fortitudo aus Robur.« Annas Mundwinkel zuckten. »Na, wenn ich da nicht gut aufgehoben bin.«
Irgendetwas Unverständliches brummend schob Edmund das Fahrrad weiter.
Schon von Weitem waren die Stimmen zu hören, hell, klar und fröhlich. Die Tür zum Sonneneck stand weit offen und vor dem Laden herrschte reges Treiben. Anna traute ihren Augen nicht. Wo in aller Welt kamen nur all die Kinder her? Kaum verließen ein paar kleine Gestalten den Laden, da schoben sich auch schon die nächsten hinein. Was zum Teufel hatten Erin und Peter angerichtet? Verschleuderten sie Spiele, Bauklötze und Puppen? Gab es hier irgendetwas umsonst? Anna schob das Fahrrad hastig durch die offene Tür, lehnte es an die Wand hinter der Ladentheke und sah sich um. Geordnetes Chaos … Kinder jeden Alters, vom Krabbelkind bis zum schlaksigen Teenager, spielten mehr oder minder einträchtig miteinander. In einer Ecke schien ein Autorennen stattzufinden. Die kleinen Holzautos rasten über den rauen Fußboden und ein schmächtiger vierjähriger Junge mit haselnussbraunen Haaren schwang ein nicht mehr ganz sauberes Taschentuch, als die Autos die imaginäre Ziellinie überquerten. Mit ernster Miene verfolgte er angestrengt den Rennverlauf und Anna konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. In einer anderen Ecke hatte eine Gruppe Mädchen aus Tüchern und Laken, die Anna verdächtig an ihre eigenen Tischdecken und Vorhänge erinnerten, ein Zelt gebaut, in dem mehrere Stoffpuppen gerade ein Mittagsschläfchen hielten. In unregelmäßigen Abständen waren die anderen jungen Gäste in Gruppen über den Boden verstreut, in Brettspiele vertieft oder hielten Spielkarten in den Händen. Und mittendrin hockten Erin und Peter. Auf Erins Schoß saß ein kleiner Rotschopf, vielleicht drei Jahre alt, den Daumen schläfrig im Mund, während Erin Bauklötze um sich herum aufgebaut hatte, mit einem winzigen Stoffhasen darüberhüpfte und leise Geschichten erzählte. Anna verspürte einen flüchtigen, dumpfen Druck in der Magengegend. Abend für Abend hatte ihre Mutter, oft über flackerndem Kerzenlicht, kleine Figuren genäht, hatte jeden Stofffetzen, der nicht mehr
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