Aus der Asche - Silvanubis #2 (German Edition)
Peters schemenhaften Umriss konnte man nur erahnen. Auch er lief zielsicher die Passage entlang, seine Hand in ihrer. Seine Pixie schien ihm genauso den Weg zu weisen wie der prächtige rote Vogel ihr. Dieses Mal raubte ihr der weiße Schleier nicht den Atem. Zäh und süßlich wie Sirup, nicht so dünn und würzig wie vorher, die Luft hatte sich verändert. Doch sie konnte problemlos ein- und ausatmen, ganz im Gegensatz zu Erin! Sie hörte, wie ihre Freundin keuchend nach Luft rang und sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, wenn sie die Schleifgeräusche richtig deutete. Anna war froh, Edmund an ihrer Seite zu wissen, niemals würde er sie loslassen. Ausgeschlossen. Dennoch hoffte sie um Erins willen, dass sie die Passage bald durchquert hatten. Das Keuchen vor ihr wurde leiser, Erin schien nur noch pfeifend atmen zu können, die schleifenden Schritte wurden langsamer, bis die Geräusche vor ihr schließlich ganz verstummten. Doch noch immer war außer weißen Wolken nichts, aber auch gar nichts zu sehen. Anna drückte Peters Hand und war froh zu spüren, wie der Druck erwidert wurde.
Aus dem Nichts tauchte Edmunds Silhouette vor ihr auf. Anna konnte die große Gestalt schemenhaft erkennen, Erins leblose Gestalt in den Armen. Der Nebel verflüchtigte sich. Noch ein, zwei Schritte und sie hatten es geschafft. Anna sah sich um. Der Phönix oder nun wieder sein Schatten, rief sie sich ins Gedächtnis, saß in einer Baumkrone, die Flügel weit ausgebreitet und würde dort immer dann zu finden sein, wenn sie zurückgehen wollte. Unsichtbar für jeden außer ihr. Peter hielt nach wie vor ihre Hand fest in seiner. Das war gut so, denn plötzlich tanzten die Bäume des Waldes um sie herum und Anna musste ihre ganze Kraft aufbringen, um sich auf den Beinen zu halten. Peter griff ihr stützend unter die Arme und schob sie energisch hinter Edmund her. So ganz spurlos ging der Übergang also noch nicht an ihr vorüber.
»Hoppla, Anna. Einfach einen Schritt vor den anderen setzen. Glaub mir, gleich geht es wieder.«
Anna nickte zweifelnd und beeilte sich, Edmund zu folgen. Wie sich die Bilder glichen. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er Erin ebenfalls getragen, vom Wald zum Sonneneck. Ihre Freundin schien das Bewusstsein verloren zu haben, leblos pendelten Erins Arme hin und her. Ein Eisklumpen nistete sich in Annas Magen ein. Sie hatte es gewusst. Erin war noch lange nicht kräftig genug. Wenn ihre Freundin nun gar nicht mehr aufwachte? War es dann ihre Schuld? Anna spähte verstohlen zwischen den Bäumen hindurch. Wo genau befand sich denn diese geheimnisvolle Höhle? Von wegen in Sicherheit, hier konnte sie jeder sehen. Selbst Edmund schien nicht mehr sicher zu sein. Einen Moment zögerte er, tat einige Schritte vorwärts, bis sich eine schmale Hand durch das Unterholz schob und ihn am Hemd packte. Dann verschluckte das Grün des Waldes Edmund und Erin. Anna erstarrte, doch Peter zog sie bereits grinsend hinter sich her und zwischen einem Vorhang aus moosbewachsenen, dünnen Ästen und Farnen hindurch. Dem ersten Vorhang folgte ein zweiter: lange, geschmeidige, sacht schwingende Äste einer Trauerweide. Und noch einer, der Anna an herabhängende, tropische Farne erinnerte.
Und dann hielt sie die Luft an: Ein abschüssiger Hang führte in eine riesige, kreisrunde Halle, von der aus einige schmale Gänge in verschiedene Richtungen abzweigten. An der hohen Decke, einer enormen kreisrunden Kuppel, waren große Laternen befestigt, die ein warmes und einladendes Licht spendeten. Diese Höhle besaß weder das klammfeuchte Nass, das man hier vermutete, noch die abweisende Kälte. Sie wirkte fast … gemütlich. Behutsam legte Edmund Erin auf dem Boden nieder und tätschelte sacht ihre Wange, als neben ihnen eine Handvoll kleiner Gestalten auftauchte. Ein Zwerg, kräftig, braun gebrannt, die langen blonden Haare im Nacken mit einem Band zusammengebunden, löste sich aus der Traube neugieriger Zuschauer und schob Edmund grob zur Seite. Wortlos beugte er sich über Erin. Im Gegensatz zu Edmunds Berührungen waren seine Schläge weniger sanft und erfüllten ihren Zweck. Erin stöhnte, ihre Lider flatterten. Ohne Rücksicht zu nehmen, schlug der kleine Mann noch einmal zu. Sie stöhnte erneut, bewegte träge und unbeholfen ihre Hände. Bevor der Zwerg ein drittes Mal ausholen konnte, öffnete die Najadin ihre Augen.
»Na also«, hörte Anna den Zwerg zufrieden murmeln. Er griff Erin mit seinen kräftigen Armen unter die
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